Retour

Agovic Emrah

Mein (un)geliebtes Ich

Mein (un)geliebtes Ich

Der Anfang vom Ende

Ich kann und will das alles nicht mehr… Der ganze Druck, der sich über Jahre aufgebaut hat. Fake Friends, meine dumme Naivität und mein scheiß Aussehen. Warum war ich nur so faul und habe mich nicht, sowohl äußerlich wie auch innerlich, geändert. Ab Beginn der Realschule wurde ich endlich mit der Realität konfrontiert, wo sich nicht immer alles um mich dreht. Wo mich nicht jeder leiden kann. Und wo ich zu Tode gehänselt werde.

Alles fing damit an als ich in der Fünften meine damalige „beste Freundin“ kennengelernt habe. Ihre toxische Aura hat sofort jeden im Raum infiziert, nur mich nicht. Ich, der naive, dumme und fette Aufmerksamkeitssucher, habe ihr blind vertraut und bei jedem Scheiß mitgemacht. Durch sie kassierte ich meinen ersten Shitstorm und das erste Mal Nachsitzen. Ganze 8 Stunden! Sie hat sie natürlich, mit ihren wunderbaren Schauspielkünsten, wegbekommen. Sie hat ein paar Tränen rausgedrückt und schon war alles gegessen. Ich hingegen musste diese 8 Stunden ALLEIN nachsitzen. Ich wusste, dass sie einen schlechten Einfluss auf mich hatte, jedoch war mein Charakter nicht stark genug, um sich von dieser Bestie zu trennen.

Ich ließ mich immer weiter von ihr schikanieren, bis sie auf die schlaue Idee kam, die Schule zu wechseln. Das bedeutete: ich brauch ein neues Motto! Und zwar: Dieses Jahr geht es um mich! Naja, es stellte sich heraus, dass das nicht so eine schlaue Idee war. Denn es eskalierte! Ich wollte immer die ganze Aufmerksamkeit, habe immer reingeredet und nie zugehört. Ich habe mich immer zum Chef der Gruppe ernannt und, das Schlimmste, ich wollte, dass alles immer nach meiner Lust ging. In der Sechsten und Siebten lief mein Plan noch sehr gut. Doch jetzt… naja.

Na gut, ich muss es endlich durchziehen bevor mich jemand erwischt. Es ist Zeit…

 

War das die richtige Entscheidung?

Der Übergang von der Grundschule in die Realschule hatte große Auswirkungen auf mein ganzes Leben. Ich habe nämlich die wichtigste Entscheidung in meinem ganzen Leben getroffen. Und zwar: Der Islam! Ich wurde in einer angeblich muslimischen Familie reingeboren, jedoch, wie es schon der Name sagt, waren wir nicht sehr gläubig. In diesem Übergang haben sich mein Bruder und ich ein Zimmer mit einem Hochbett geteilt. Da kamen wir auch beide zur Idee anzufangen zu beten. 

Diese Entscheidung kam aber nicht einfach so. Unsere Nachbarn spielten da eine sehr große Rolle. Seima, eine halbe Spanierin und halbe Kroatin, war meine aller beste Freundin und Nachbarin seit ich denken kann. Wir gingen gemeinsam durch dick und dünn. Sie und ihre Familie haben uns dazu überzeugt 5 Mal am Tag zu beten und sich an die Basics des Islams zu halten.

Der Islam, beziehungsweise meine radikale Denkweise basierend auf den Islam, hat mich in so viel Scheiße geritten. In der Siebten sind wegen meiner Meinung gegenüber LGBTQIA+ sehr viele Auseinandersetzungen ausgebrochen. Da sind Sprüche gefallen wie „Du scheiß Homo sollst in der Hölle verrotten!“ oder „Ich hoffe du stirbst!“. Das hat sich über das ganze Jahr hingezogen. Diese Meinung vertrete ich nicht mehr!

Abgesehen von den negativen Dingen, hat mich der Islam vor vielen schlechten Entscheidungen bewahrt und auch Positives in mein Leben gebracht. Der Islam gibt mir jeden Tag die Kraft aus dem Bett aufzustehen und den Tag, mit allen Hürden, die er besitzt, zu überwinden. Doch reicht diese Kraft für immer? Die muss doch irgendwann ausgehen. Ist jetzt der Zeitpunkt, wo ich aufgebe?

Immer dieses Gelaber von wegen ich sei eine Schande für alle Muslime. Nur weil ich mich jetzt schwul benehme, gibt das keinem das Recht mich runterzumachen. Oder doch? Ist das nicht das, was ich verdient habe? Nach all meinen dummen Fehlern. Das kommt davon, wenn man ein ganzes Jahr lang homophob ist. Ich wurde in der Klasse von jedem runtergemacht, weil ich der Mobber war. Jetzt bin ich das Opfer.

 

Mit dem Teufel auf Wolke 7

29. April 2023, wir gehen endlich auf Klassenfahrt! Ich teile mir ein Zimmer mit dem schönsten Mädchen aus unserer Klasse. Sylvie heißt sie. Sie hat lange braune Haare mit einem Pony, der ihr bis bei ihren Augenbrauen geht. Ihre wundervollen braunen Augen, in denen ich mich jedes Mal verliere, wenn ich sie anschaue. Ihr Gesicht hat eher die Form eines Quadrats. Sie trägt eine sehr dünne goldene Brille mit runden Gläsern. Ihre Zähne sind nicht sehr gerade, doch genau das macht sie besonders. Sie ist ungefähr 2 Fingerbreiten größer als ich und ich muss immer raufgucken, um in ihre wunderschönen Augen blicken zu können. Sie zieht sich immer Vintage an und trägt oft eine karierte braune Strickweste mit einem weißen langärmligen Shirt. Sie trägt immer blaue Indie-Jeans dazu und schwarze Stiefel.

Angekommen auf der Klassenfahrt, hat die Lehrerin erstmal 30 Minuten lang die Vorschriften aufgezählt. Darunter war eine der schlimmsten Regeln auf der Welt: KEIN SEX! Ich wollte dort doch mein erstes Mal mit Sylvie haben. Nicht schlimm, uns wird sowieso keiner erwischen. Sie hat uns endlich in unsere Zimmern geschickt. Ich weiß, dass Sylvie oft eine Bitch sein kann, doch ich verstelle mich einfach so, damit ich ihr gefalle.

Angekommen im Zimmer hat jeder zuerst seine Koffer ausgepackt. Ich war vor Sylvie fertig und hab mich neben sie gesetzt und fing an:

„Hey, wir teilen uns wohl jetzt ein Zimmer.“, sage ich in der Hoffnung, dass wir anfangen zu flirten.

„Ja, echt super mit einem Volltrottel wie dir in einem Zimmer schlafen zu müssen.“

„Nicht frech werden, Fräulein!“

„Ich bin nicht frech. Das sind nur Fakten.“

„Sag mal, hast du heute Abend Zeit?“

„Hängt davon ab wer fragt.“

„Na, dieser Volltrottel hier möchte dieses wunderschöne Mädel auf ein Date einladen.“ Ja, sehr charmant von mir.

„Dieses wunderschöne Mädel ist aber nicht interessiert.“

„Und was wenn der Volltrottel alles bezahlt.“

„Das klingt schon viel besser.“ YES!

„Perfekt! Heute Abend am Figaro um die Ecke.“

Damit war’s auch schon ein Date.

Ich sitze am Tisch und warte auf sie. Sie müsste schon vor 15 Minuten hier sein. Ich glaube, sie hat mich versetzt. Doch als ich meine Jacke wieder anziehen will, kommt das wunderschönste Mädchen, fast schon eine Frau, in das Restaurant rein. Mein Kiefer wird schwer und mein Mund bleibt offen. Sie kommt und sitzt sich an den Tisch.

„Du bist so wunderschön.“

„Ich weiß. Du natürlich auch Volltrottel.“

Der Abend verläuft super und wir kuscheln uns in den Schlaf. Ich glaube wir sind jetzt offiziell ein Paar.

Am Tag danach gehen wir Hand in Hand durch Museen und Ausstellungen. Abends gehe ich mit meinem besten Freund Leonardo, oder wie ich ihn immer nenne: Leo, spazieren und hab ihm von allem erzählt. Er hat mir gesagt, dass er der ganzen Sache nicht traut. Ich habe probiert ihn daraufhin zu beruhigen, doch der Junge lässt nicht locker. Er wird immer lauter und lauter. Sein Ton gefällt mir nicht, ich schreie ihn an:

„Es reicht!“

Wir schauen uns nur in die Augen und dieser Moment fühlt sich komisch an. Ich habe noch nie bemerkt, dass er so schöne grüne Augen hat. Wir nähern uns immer mehr bis sich schließlich unsere Lippen berühren. Seine warmen, sanften Lippen gleiten über meine. Der Geschmack von Lippenbalsam ging mir durch den Mund. Sein frischer Atem vermischte sich mit meinem. Ich fange an Gänsehaut zu bekommen, die bei meinen Füßen anfangen und bei meinem letzten Kopfhaar aufhört. Die Glücksgefühle in mir reichen bis in den Mond. Aber, was mache ich hier gerade. Ich küsse meinen besten Freund! Ich drücke mich weg von ihm und meine: „Nein, das war ein Fehler. Bitte sag keinem was davon, versprochen?“ Er zögert, doch er weiß ganz genau, dass er auch eine Freundin hat, die er nicht einfach so mit EINEM JUNGEN betrügen kann.

Also sagt er nur verzweifelt: „Versprochen.“ Ich gehe hektisch weg und kehre zurück in mein Zimmer. Ich lege mich in mein Bett und weine mich in den Schlaf. Ich erkenne mich nicht wieder…

Als ich aufwache, sehe ich nur eine kleine Notiz auf meinem Nachttisch:

 

„Ich freue mich schon auf unser Doppeldate mit Leonardo und Maria

heute Abend. Ich liebe dich <3

- deine Sylvie“

 

Ach du… UNSER DOPPELDATE! Wie zur Hölle kann ich bitte mit meinem besten Freund auf ein Doppeldate gehen, nachdem was gestern passiert ist. Ich kann ihr aber auch nicht die Wahrheit sagen. Ich habe aber keine andere Wahl, ich muss zu dem Date.

Sylvie und ich sitzen schon im Restaurant und warten auf Leonardo und Maria. Ich habe Angst. Todesangst. Schweißperlen laufen mir die Stirn runter, mein Körper fängt an zu zittern und ich empfinde Liebe. Sogar sehr viel Liebe. Aber nicht für Sylvie, sondern Leonardo. Dieser Junge treibt mich in den Wahnsinn. Auf einmal sehe ich sie reinkommen. Okay, Kyle, du schaffst das schon. Augen zu und durch.

Das Date läuft ganz gut, bis auf Leo und mir. Wir haben nicht ein Wort miteinander gesprochen. Ich habe schon die Hoffnung vor einer Stunde aufgegeben. Plötzlich sagt er: „Ich muss aufs Klo.“ Und das ist mein Moment. Ich füge hinzu: „Ich glaube ich geh mit ihm, hab voll die Blähungen.“ Ich gehe aufs Klo und da wartet er schon.

„Wir müssen reden.“, fange ich an.

„Ja, das müssen wir unbedingt. Ich muss dir was gestehen. Ich hab das noch nie jemandem erzählt, aber ich glaube ich bin dir eine Erklärung schuldig. Ich bin bisexuell und habe schon länger Gefühle für dich.“

BITTE WAS?!

„Du bist immer für mich da in egal welcher Situation auch immer. Man kann dir immer alles anvertrauen und mit dir lachen. Wie oft haben wir uns schon bepisst vor Lachen? Du bist mein ein und alles. Du erhellst meinen Tag, wenn er mal scheiße lief. Du lässt mich all meine Sorgen vergessen und zauberst mir immer ein Lächeln ins Gesicht. Ich liebe dich, Kyle.“

Das war schon süß. Und wie er mich anguckt, magisch.

„Ich weiß nicht, was ich für dich empfinde, aber ich glaube auch, dass es mehr als nur Freundschaft ist, Leo. Ich… Ich liebe dich!“

Was zum Teufel rede ich hier? Ich begehe gerade so eine große Sünde.

Bevor ich überhaupt zu Ende denken kann, kommt er näher und küsst mich. Es erinnert mich alles an gestern. Dieses gleiche Gefühl befindet sich in mir drin und ich kann es nicht bekämpfen. 

Er fängt an mich am Hals zu küssen und geht immer weiter nach unten, bis er an meiner Hose ankommt. Er macht den Hosenstall auf, zieht mir die Hose runter und fängt an. Er beginnt langsam und wird immer schneller. Ich schließe meine Augen und genieße es nur. Er steht wieder auf und fängt an sich auszuziehen und ich auch. Er geht auf vier Pfoten und ich tue es einfach. Ich stecke es rein und wieder raus, rein und wieder raus… Es fühlt sich so richtig und doch so falsch an. Als wir beide fast am Höhepunkt sind, kommen Maria und Sylvie, um nach uns zu schauen, weil wir schon 20 Minuten gefehlt haben. Wir ziehen uns schnell an: „Wir können das erklären.“ Sylvie sagt nichts und gibt mir nur eine Backpfeife. Beide laufen dann weinend weg. 

Wir fahren nach Hause und der Direktor möchte mit meinen Eltern reden. Als wir dann angekommen sind stehen schon meine Eltern da. Ich bin sofort weggelaufen, bis ich bei einer Brücke angekommen bin. Was ist mit mir los!? Ich hintergehe meine Religion und meine Familie. Ich habe keine Freunde, die mich unterstützen würden. Sylvie und Maria hassen mich. Jeder hasst mich. Sogar ich hasse mich. Wie enttäuscht wird denn bitte Seima auf mich sein? Und in der Schule erst. Jeder wird mich noch mehr mobben als vorher, da sich ihre ‚Vermutungen‘ bestätigt haben. Und da ist es mir klar geworden. Niemand braucht mich und niemand wird mich vermissen. Ich bin doch eher nur eine Schande und Enttäuschung für jeden. Also habe ich meine Entscheidung getroffen. Und jetzt stehe ich hier.

Das war’s. Ich gehe jetzt. Mich wird sowieso niemand vermissen. Vielleicht wollte es Allah so, also mach ich es auch. Ich wünsche euch noch ein schönes Leben… ohne mich. Und ich springe…




Envoyé: 16:14 Mon, 6 March 2023 par: Agovic Emrah