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Delvaux Ben

Die Weide



Das Kreiseln, das Kreiseln, das mir einst den Leib belebte und den Geist beflügelte, von Sorgen befreite, war nunmehr kaum in der Lage mir die Laster des Alltags zu nehmen. Der stolze Schimmel, liebster Sitz der gesamten Attraktion, war nunmehr nach zahlreichen bestrittenen Runden zum greisen Gaul gealtert. Die von überall her strömende Musik, einst fremdartig und betörend, war nunmehr nichts weiter als eine penetrante Melodie, die es auszublenden galt. Das große Karussell, einst mein höchstes Glück, zeugte nun von gleicher Fadheit und Mittelmäßigkeit, wie der Rest des Daseins auch. 

Schnelle Schritte in der Dunkelheit. Vollends verschlungen von der Finsternis schritt ich voran und langsam und sicher verschmolzen die Neonlichter des Karnevals mit dem Schwarz der Nacht, langsam und sicher erstickte der Schleier der Stille das ausgelassene Lärmen der anderen Besucher. Welch Wonne für die Sinne, die so lange schon geschunden! Verträumtes Taumeln im Sternenlicht; das Herz, von altem Kummer befreit und neuem Hunger getrieben, führte; die Füße, sie folgten bloß.


Da sah ich sie am Flussufer stehen: Sie, die meinen Hunger sättigen sollte. Ihre Krone wehte in der nächtlichen Brise, ihr zartes Gesicht war bemüht, ihr Lächeln zu verbergen, als sie mich bemerkte. Leicht gebückt betrachtete sie das Wasser und doch, so schien es mir, konnte gar der verheerendste Sturm sie nicht bezwingen. Welch Stärke! Welch Halt! Welch Festmahl! Denn unersättlich das Verlangen mich an sie zu lehnen. Mein Zögern bemerkend, lud sie mich hemmungslos dazu ein, mich zu ihr zu gesellen. Unbeschwert und aufrecht dieser Akt der Freundlichkeit; ihre Gesten wie vom Wind getragen. Anfangs verklemmt, doch wie das Wasser floss, so sprach auch ich bald auf unaufhaltsame Manier; ich erzählte ihr von Kummer und Sorge, Angst und Klage, die allesamt versunken waren im Treiben des Alltags, achtlos verwoben mit Hoffnung und Plicht, Traum und Erfordernis, sodass sie unlösbar schienen. Doch in ihrer Nähe trug der Wind all das, was zuvor noch Laster war, hinfort, hinfort zum Firmament, wo es schrumpfte und schrumpfte und schließlich verschwand, verpuffte und zurückließ nur das strahlend Licht des Himmelszelts. Hier konnte sich kaum bewähren meine Ängste; denn in Angesicht solcher Schönheit verglüht das Flackern der Nichtigkeit. Himmlische Leinwand, die die Wiese, das Wasser in bläuliches Licht tunkte. 

Die Weide warf lange Schatten. Schwarze, in denen sie sich verbarg, undurchdringliche Barrikade der Stille. Nicht auszuhalten wars, denn so wollte doch auch ich ihre Last erleichtern. Doch kein Blick, kein Lächeln vermochte den Wall zu durchbrechen. Die Schatten wuchsen. Sie tanzten auf dem Strom, der unermüdlich rauschte. Ein strenges Wort, ein harscher Satz, doch vergebens wars. Der Tanz der Schatten wirbelte auf das Bett des Flusses, der nun träge, trübe im Rinnsal floss. Die laue Brise wich der Kälte der Nacht. Die Weide schwieg weiterhin und wandte den Blick von mir. Doch so mochte es nicht enden, so schwur ich mir, so konnte es nicht enden! Mit Zärtlichkeit zum Ziel, so sollte es gehen. Überwinde die Ferne, denn das wir bleibt bestehen! Mit immenser Sehnsucht, ganzer Leidenschaft konnte man ihr doch sicherlich ein Wort entlocken. Doch als meine Hand, ihr zittrig entgegengestreckt, über die Rinde strich, zerbröselte diese zu Staub, vom Winde verweht. Und unter der Fassade, über lange Zeit gediehen, fraßen sich Maden zum Herz des Baumes. Zerplatzt, verdorben der süße Traum der Zweisamkeit. 

Hinfort, hinfort. So schnell wie mich meine Beine tragen konnten. Geschwind, geschwind zu den lockenden Lichtern des Karnevals. Gleißend hell, das Karussell! Beim Drehen, beim Kreiseln würde das Geschehene vergehen. Ein lust’ges Lied zum Vertreiben der Sorgen. Schneller, schneller lief ich, während hinter mir die Leere an der Silhouette der Weide zehrte, während in meinem Rücken der Schatten, den sie erwacht und ich getrieben, alles bis auf ihre Hülle verschlang.


 




Envoyé: 11:54 Sun, 10 March 2019 par: Delvaux Ben