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Douw Joleen

Zwei Kerzen



Zielstrebig bewegte sie sich vorwärts. Vorbei an der tristen Straße, den schnellen Autos, die sie mit Wasser bespritzten, den hässlichen, heruntergekommenen Häusern. Es war wirklich keine angenehme Atmosphäre draußen. Man sah nichts als graue Wolken, einen düsteren Himmel und kahle Bäume. Als sie die kalte Luft einatmete wusste sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Jetzt fühlte sie sich zu allem bereit. Vorher wollte sie aber noch der Kirche einen Besuch abstatten. Sie hatte das Gefühl, sie täte es nicht oft genug. Sofort als sie die Kirche betrat, machte sich ein anderes Gefühl in ihr breit. Es war erstaunlich wie schnell es eine Wirkung zeigte. Sie fühlte sich sofort geborgen, geschützt vor der Welt draußen. Im Augenwinkel sah sie Kerzen brennen und erinnerte sich daran wie sie ihre Oma immer hierher begleitet hatte, auch wenn sie nie wirklich Glauben gezeigt hatte. Jetzt kam sie freiwillig hierher und musste alleine eine, nein zwei Kerzen anzünden. Auch wenn es in der Kirche sehr friedlich war, fühlte sie sich nicht besonders wohl dort. Das bedrückende Gefühl hatte sie noch nie gemocht und jetzt fühlte sie sich zu allem Überfluss auch noch beobachtet. Man konnte jeden ihrer Schritte hören und sogar ihre schnellen Atemzüge hörten sich zu laut an. Ja, sie konnte die Kirche nicht leiden. Es war viel zu still für ihren Geschmack und vor allem zu groß. Vor dem Altar standen so viele Stühle, sie konnte sich nicht vorstellen dass diese jemals alle besetzt waren. Dann war da noch die Zeitlosigkeit. An diesem Ort gab es nichts, aber rein gar nichts, das sich bewegte. Es war unmöglich einzuschätzen wie viel Zeit verstrich. Und der letzte Grund warum sie nicht gerne hier war, war der Fakt dass sie sich fehl am Platz vorkam. Sie gehörte nicht hierher, denn sie glaubte ja nicht einmal. Allerdings wollte sie ihre Oma noch einmal ehren.

Als sie die Kirche wieder verließ war es ungewohnt hell. Es war viel mehr Zeit verstrichen als sie gedacht hätte, aber glücklicher Weise hatte sie es nicht eilig. Eigentlich hatte sie noch alle Zeit der Welt. Okay, vielleicht nicht ganz so viel Zeit. Aber es fühlte sich so an. Ein kleiner Windstoß zwang sie dazu, den Reißverschluss ihrer Jacke zu schließen. In diesem Moment fühlte sie sich so frei. Frei von der Welt, von der Gesellschaft, frei vom Leben. Ihr fiel so viel mehr um sich herum auf. Das tote Blatt, das vom Wind weggeweht wurde, der Vogel der davonflog. Das war die friedliche Seite. Dann gab es allerdings noch die Masse von gestressten Menschen, die unzufrieden an ihr vorbeiliefen, jene die sie einmal kurz anschauten als sie an ihr vorbeigingen und jene die nichts um sich herum mitbekamen, da sie auf ihr Handy fokussiert waren. Sie ging vorbei am Fluss an dem sie so manche Abende gesessen hatte um Gedichte zu schreiben. Heute sah er so viel lebendiger aus als sonst. Er war aufgeregt und sprudelte seinen Geschichten nur so vor sich hin. Dann gelangte sie zum Haus, das in der Mitte des Parks stand. Als sie noch ein kleines Kind war hatte sie sich immer vorgestellt in diesem kleinen, heimlichen, rosa Heim zu wohnen, mit den anderen Kinder draußen zu spielen wenn es heiß war und einfach ein glückliches Leben zu führen. Ein Seufzer entfuhr ihr als sie beschloss sich auch davon abzuwenden. Die Erinnerungen waren zu schmerzhaft.

Nachdem sie alle Orte besucht hatte, die sie als wichtig empfand, steuerte sie auf ihr eigentliches Ziel zu. Jegliche Zweifel waren jetzt begraben. Sie wusste was sie zu tun hatte. Fast wie in Trance erklomm sie die Stufen, die hinauf zur Brücke führten. Sie atmete noch ein paar mal tief ein um wieder in die Realität zurückzufinden. Diese letzten Momente wollte sie komplett in sich aufnehmen. Ohne zu zittern schaffte sie es über das rote Geländer zu klettern und setzte sich darauf. Sie hatte schon immer wissen wie sich so etwas anfühlte. Die Grenze zwischen Leben und Tod. Einen Sturz aus dieser Höhe würde sie nicht überleben. Es fehlte nur eine kleine Bewegung, ein Signal, das ihr Gehirn ihren Muskeln überbringen musste. Sie hatte keine Angst, denn sie wusste, dass es ihr bald besser gehen würde. Also schloss sie die Augen und ließ sich fallen.

 




Envoyé: 13:50 Thu, 30 April 2020 par: Douw Joleen