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Wolter Chiara

Leise



Die Herdplatte glühte immer noch vom vergangenen Abendessen, und die Hitze streichelte ihre zarten Fingerspitzen, als sie mit der Hand am Herd entlangfuhr. Ein kaltes, grelles Licht flutete den schmalen Abstellraum, der notgedrungen zur Küche umfunktioniert worden war, und warf lange Schatten auf die Wände. Die Tapete müsste ausgebessert werden, dachte sie. Staub, Alter und das wenige Sonnenlicht hatten die vorher bereits blassrosa Tapete bis zur Unkenntlichkeit ausgeblichen. In der linken oberen Ecke, wo Wand und Decke aufeinandertrafen, schaute ein losgelöster Tapetenzipfel zu Boden. Folgte man diesem nun mit dem Blicke nach unten, so ließen sich in der einzigen Ecke, in die sich das künstliche Licht nicht gewagt hatte, die schemenhaften Umrisse eines Schuhs ausmachen. Ein einzelner Schuh; abgenutzt, dahingeworfen. Mit einer müden Geste fasste sie sich an die Wange, die immer noch schmerzte. Er war heute wieder spät nach Hause gekommen. Seine Versuche, die Haustür zu öffnen, waren nicht zu überhören gewesen. Der Geruch nach schalem Bier und Zigarettenrauch haftete immer noch an ihm, als er zu ihr in die Küche schlurfte und würde sich so schnell auch nicht verflüchtigen. Mit einem Blick, der zwischen Zorn und Wahn schwankte, stierte er auf einen Punkt oberhalb ihrer Augen. Nur gut, dass die Kinder schon schlafen, dachte sie.

Die Haustür ließ sich ohne das übliche Knarren schließen. Am Tag zuvor hatte endlich der Schlösser vorbeigeschaut und die Scharniere geölt. Sie war froh darüber. Auch von außen machte die Wohnung wenig Eindruck; heruntergekommen und schäbig wie sie war. Und doch erfüllte es sie kurzweilig mit Stolz, als sie sich des Tages besann, an dem sie das Vier-Zimmer Apartment erworben hatten. Er hatte mühsam das monatlich Ersparte beiseitegelegt, sie akribisch das Haushaltsbuch geführt. Leise zog sie die Tür hinter sich zu und wandte sich ab. Hätte jemand in dieser Nacht das dringende Bedürfnis verspürt das Fenster zu öffnen, so hätte er eine Frau im strömenden Regen erblickt; den Blick einige Minuten fest auf ein kleines Fenster unter dem Dach gerichtet, ehe sie raschen Schrittes von dannen ging.

 




Envoyé: 22:25 Mon, 16 March 2020 par: Wolter Chiara