Die Wiese war groß und mit Blumen übersät. Der Himmel war strahlend blau. Die Nymphen pflückten Blumen, verarbeiteten sie zu Sträußen oder Blumenkronen. Sie lachten, kicherten und lebten glücklich. Wenn man sein ganzes Leben ohne den Zorn eines Gottes lebt, kann man dann nicht glücklich sein? Hier gibt es kein Gott, der sie an der Hand packt und sie mit sich zieht. Kein Gott, der sie dazu zwingt, ihn zu begehren, ihn zu lieben, ihm einen Sohn zu gebären. Die Nymphen waren hier sicher, sie mussten nicht miterleben, wie ihre Kinder wegen der Götter starben. Sie konnten sorglos hier leben. Eine Nymphe tänzelte zu mir und legte mir kichernd eine Blumenkrone schief auf den Kopf. Ich rückte die Krone gerade und wollte gerade zu den Nymphen rennen als ich einen lieblichen Duft in meiner Nase verspürte. Er war so bezaubernd, dass ich dem Duft nicht widerstehen konnte. Ich folgte dem himmlischen Duft hinein in den Wald. Der Duft endete bei einer wunderschönen gelben Narzisse. Ich bückte mich, um die Blume zu pflücken, meine Fingerspitzen berührten die Blume, als die Erde leicht zu beben begann und sich einen Spalt öffnete. Ich fiel zu Boden und sah auf. Ein Gott stand mit seinen Pferden und seinem Wagen vor mir. Allerdings nicht irgend Gott, sondern Hades, der Gott der Toten und der König der Unterwelt. Ich krabbelte nach hinten, ich musste weg. Mutter hatte mich immer vor Hades und der Unterwelt gewarnt. Nun stand er vor mir. Ohne ein Wort kam er auf mich zu und packte mich. Voller Panik schrie ich, ich schrie in der Hoffnung, dass mich jemand rettete. Seine Finger gruben sich in mein Bein und packten mich fester. Er zerrte mich auf seinen Wagen und fuhr los. Ich lehnte mich darüber, noch immer schreiend. Ich hielt die Hand ausgestreckt für irgendjemand. Jemand der mir half. Bitte! Götter, ich flehte euch an! Ihr ignoriertet mich, ließet mich in den Händen des Königs der Toten. Die Gebete waren wohl nicht gut genug. Er riss mich mit in die Unterwelt, zu der sonnenlosen Welt, der Welt, in der nichts blühte.
In der Unterwelt war es düster, kalt und still. Hades packte mich und zerrte mich zu einem Thronsaal. Am Ende des Saals standen zwei Throne. Ich starrte ihn an, die getrockneten Tränen auf meinen Wangen fühlten sich kalt an. Ich hatte es aufgegeben zu weinen und zu schreien. Niemand hatte mich gehört und nun saß ich hier fest. „Das ist für dich“, sagte Hades mit kräftiger Stimme, die ließ mich erzittern. „Danke“, stieß ich mit zitternder Stimme hervor. Hades blickte auf mich herab und hielt mir ein schwarzes Stück Stoff hin. Eine Toga. Zögernd nahm ich die Toga, nichts war geschenkt, alles hatte seinen Preis. Ich wusste nur nicht, was hier der Preis war. Meine Jungfräulichkeit? Mein Leben? Meine Gabe? Ich zog die Toga an und versuchte Hades’ Blick zu ignorieren. Wieso nahm er mich? Wieso nicht die anderen Schönheiten? Wieso ich? „Setz dich“, befahl er mir. Ich setzte mir auf den Boden, den Kopf gebeugt. Er schüttelte den Kopf mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht und zeigte auf den rechten Thron. „Dort sollst du sitzen.“ Ich stand langsam auf und ging zögerlich zu dem schwarzen Thron. Aus der Nähe erkannte ich, dass der Thron aus Knochen gemacht wurde und neben dem Thron tote Pflanzen standen. Ein dreiköpfiger Hund lag neben dem Thron und schnarchte vor sich hin. Ich blieb stehen aus Angst, dass ich ihn aufwecken würde. „Kerberos husch!“, rief Hades. Der Hund lief weg, ich sah im hinterher und fragte mich, wohin er ging und was seine Aufgabe hier war. Oder mochte Hades einfach nur Hunde? Man wusste es wohl nicht. Unbeholfen setzte ich mich auf den riesigen Thron. Es fühlte sich falsch an und dazu war er noch unbequem. Ein Thron war für Könige und mächtige Götter gemacht. Ich war eine junge Göttin, ich hatte noch keinen Thron verdient. Steif und mit geradem Rücken saß ich auf dem Thron und starrte gerade aus. Hades schlenderte zu seinem Thron und setzte sich neben mich. Schweigend saßen wir für einige Sekunden, bis ich endlich meine Stimme wieder fand. „Wieso habt Ihr mich hierhergebracht?“ Er sah mich an und lächelte. „Weil ich es so wollte.“ Eine rätselhafte Antwort, aber was hatte ich den erwartet? Alle Götter gaben rätselhafte Antworten. „Wieso stahlt Ihr mich?“ Sein Lächeln verflog. „Weil ich nicht mehr allein sein will und ich dich bewundere“ Bewundern? Was meinte er damit wohl? Bewunderte er meine Arbeit? Ich erschuf doch nur Blumen und Früchte. Meine Gedanken standen mir wohl im Gesicht, denn Hades schmunzelte und küsste mich auf die Hand. „Ich will dich zu meiner Gemahlin.“ Für Sterbliche war das wohl etwas Besonderes und Schönes. Was ich allerdings von diesem Geständnis hielt, wusste ich noch nicht. Ich schaute wieder nach vorne und überlegte. Was sollte ich tun? Hades nahm mich mit sich in die Unterwelt, er stahl mich. Tat er das nur um mich zu heiraten? „Komm mit.“ Hades erhob sich und ging aus der Halle. Verwirrt folgte ich ihm, er führte mich zu einem wunderschönen Garten, mit verschiedenen Bäumen, Blumen und anderen Pflanzen. Ich drehte mich um mich selbst und bewunderte die vielen Pflanzen. Ich wusste nie, dass in der Unterwelt Pflanzen wuchsen, schon gar nicht so schöne. Ich lächelte, hier war es ruhig. Eine süße und beruhigende Stille, es war eine Stille, von der ich noch nicht wusste, wie sehr ich mich danach gesehnt hatte. Obwohl ich die Nymphen und ihre Gesellschaft liebte, wusste ich jedoch tief im Innern, dass jeder ein wenig Stille brauchte. „Na Kore wie gefällt dir das?“ Ich drehte mich überrascht um, ganz in meinen Gedanken versunken. Noch ein Geschenk? Doch bei den Göttern gab es nichts, was keinen Preis hatte. „Was willst du?“, fragte ich unsicher. Er sah mir tief in die Augen und sagte todernst: „Dich. Ich will dich und dass du hierbleibst“ Hierbleiben? Wollte ich das? Ich wusste es nicht. Hades drehte sich um und ging zu einem Granatapfelbaum mit den schönsten und perfekt reifen Granatäpfeln. Er nahm ein Messer aus seiner Tasche und schnitt den noch hängenden Granatapfel in Viertel. Ich fragte mich, was er tat und wieso? Er hielt mir seine Hand hin und auf seiner Handfläche lagen vier Granatapfelkerne. Plötzlich wurde mir klar, was er wollte. Ich sollte sie esse. Doch wer in der Unterwelt speiste, konnte nicht mehr ganz zurück zur Oberwelt. Dies hier war wohl der Preis.