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Rollinger Caroline

Hab dich



Ich schlug mit meinen kleinen Fäusten gegen die Tür. Immer wieder hämmerte ich dagegen, bis sie wehtaten. Weinend wich ich zurück und drehte mich zum dunkeln Raum um, in dem ich mich befand. Ich bekam Angst. Ich schrie, sank zu Boden und verzog mich in eine Ecke, in der ich zitternd sitzen blieb, die Beine angezogen, die Arme darum geschlungen. Ständig in die Dunkelheit starrend. Tränen liefen mir stumm über die Wangen. Die einzigen Geräusche waren mein Atmen und mein Herzschlag. So laut, dass ich die Befürchtung hatte, jemand oder etwas könnte sie hören. Ich wusste nicht, wie lange ich schon eingesperrt war oder welche Tageszeit es war.
Ich versteckte mein Gesicht etwas hinter den Knien, so tief, dass nur noch die Augen darüber hinweg schauten und durch die Dunkelheit huschten. Nachdem sie sich daran gewöhnt hatten, konnte ich an der gegenüberliegenden Wand Regale erkennen, die fast ganz leer waren. Nur ein paar Bücher füllten sie. In einer Ecke stand eine Kiste und direkt daneben war ein Schlafsack.
Ich krabbelte zur Kiste und öffnete sie zögerlich. Sie war mit einer ganzen Menge Spielzeug gefüllt.
Plötzlich hörte ich ein Summen. Schockiert drehte ich mich um und stieß mit dem Rücken gegen die Kiste. Schmerz durchzuckte meinen Rücken, doch ich ignorierte ihn. Angestrengt schaute ich durch den Raum, aber es war niemand da. Ich schluchzte.
„Hier“, hörte ich ein leises Flüstern. Es wirkte sehr fern. „Ich bin hier.“
Ängstlich ging ich in die Richtung aus der es kam. Ein heller Arm kam zwischen den Regalen hervor. Er war weiß, so wie das Kleid, das zerrissen den Arm hinabhing. Ich starrte ihn an. Unfähig, mich zu bewegen.
„Komm her, hilf mir!“
Zögerlich näherte ich mich und blieb vor dem Arm stehen. Ich ging ein wenig in die Knie, um das Gesicht des Mädchens zu sehen. Es war genauso weiß wie das Kleid. Es hatte keine Augen. Stattdessen waren dort schwarze, klaffende Löcher.
„Hilf mir!“, rief es wieder, doch ich war nicht fähig mich zu bewegen. Die Angst schlich durch meinen ganzen Körper, ließ mein Herz schneller pochen. Ich konnte spüren, wie mein ganzer Kopf sich unter dem Schlag des Herzes bewegte. Die Hände begannen zu schwitzen und wieder kamen mir die Tränen.
„Ich bin so allein“, sagte es und plötzlich kam es durch das Regal auf mich zu. Schockiert wich ich zurück und stieß so fest mit dem Rücken gegen die Wand, dass mir für einen Moment die Luft wegblieb.
Die Unruhe wich, als das Mädchen vor mir zum Stehen blieb. So groß und alt wie ich. Acht Jahre.
Alles an ihr war weiß, nur die Augen nicht. Die Haare fielen ihr leicht auf die Schultern. Sie lächelte. Die Hälfte der Zähne fehlte.
„Wie heißt du?“, fragte ich.
„Sandra.“ Ihre Stimme klang geisterhaft, als wäre sie nicht wirklich hier.
„Ich heiße auch Sandra“, erwiderte ich. Es war ungewöhnlich. In gewisser Weise fürchtete ich mich vor dem Mädchen, aber ich war froh, nicht mehr alleine zu sein. Sie war mir sogar ein wenig vertraut. „Warum bist du hier?“
„Er hat mich geholt.“ Obwohl sie ganz normal sprach, klang ihre Stimme wie ein Flüstern, das sich in der Luft verbreitete. „Wie dich.“ Sie legte den Kopf in den Nacken. „Ich habe vergessen, wie Mama und Papa aussehen. Ich habe vergessen, wie mein Haus aussieht und ich habe vergessen, wie ich aussehe.“ Sie sah wieder mich an. Ich schaute ihr in die schwarzen Löcher. Auch wenn dort keine Augen waren, wirkte es, als würde ich mich in ihnen spiegeln. Ich erkannte mich selbst in ihr wieder.
„Du siehst aus wie ich.“
Sie lächelte wieder. „Es ist schön, nicht mehr alleine zu sein.“ Sie pfiff. Es war ein gruseliges Geräusch, das mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. „Er wird zurückkommen.“
„Wer ist er?“, wollte ich wissen.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Er hat mir meine Augen genommen. Er hat mir meine Zähne genommen. Und er hat mir mein Leben genommen.“ Sie pfiff wieder. Ruhig begann sie von einem Fuß auf den anderen zu treten, als würde sie tanzen. Ich sah ihre Füße an. Sie waren nackt. So weiß und hell und doch schien etwas Dunkles darüber zu fließen. Etwas Schwarzes. Sie sah zur Tür, gegen die ich vorhin gehämmert hatte.
„Ich wollte auch dort raus“, begann sie zu erzählen. „Die Tür war abgeschlossen. Dieses Mal wird sie offen sein.“ Sie zeigte mit dem Arm darauf.
„Nein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Sie ist zu. Ich habe es schon probiert.“
„Dieses Mal wird sie offen sein“, wiederholte sie. „Lauf.“
Instinktiv lief ich zur Tür und griff nach der Klinke. Ich drückte sie gerade hinunter, öffnete die Tür aber noch nicht, als Sandra „Warte!“ rief, doch es war zu spät.
Die Tür schwang auf und plötzlich stand Sandra genau hinter mir.
„Ich erinnere mich wieder“, teilte sie mir mit, während ich schockiert und panisch vor Angst hochschaute. „Ich bin deine Zukunft.“ Mit diesen Worten verschwand sie und ließ mich wieder zurück. Alleine. Einsam. Nur mit dem Mann vor mir, der grinsend auf mich hinabschaute.
„Hab dich“, sagte er spöttisch.

 




Envoyé: 17:28 Sat, 17 March 2018 par: Rollinger Caroline