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GOERENS Jessie

Die Tür hinter der Tafel



Die Putzfrau schloss die Tür hinter mir ab. Ich hatte mich gut in einem der Schränke versteckt und auch sie hatte mich nicht entdeckt. Auch heute trug ich wieder meine einzigartige Kette, die ich von meiner Großmutter geschenkt bekam, als ich meine Grundschule erfolgreich abgeschlossen hatte. Von diesem Moment an, trug ich sie fast Tag und Nacht, denn immer wenn ich meine Kette mit der Feder trug, spürte ich eine Kraft, ein Leuchten, jedoch konnte nur ich dieses Leuchten fühlen.

Schon vom ersten Schultag an, merkte ich, dass die Tafel in unserer Klasse anders war. Eines Tages, ich war früher in der Klasse als alle andern, nahm ich  die Tafel gründlicher unter die Lupe. Komisch, ich konnte hinter die Tafel klettern und dort entdeckte ich  eine eigenartige ovale Einkerbung. An diesem Tag konnte ich mich nicht auf die einzelnen Kurse konzentrieren. Immerzu musste ich an die Einkerbung denken. Ich grübelte lange. Ein Medaillon könnte da reinpassen, jedoch welches? Und wozu?  Plötzlich spürte ich meine Feder ganz hell aufleuchten. Gepackt von der Aufregung riss ich mir die Kette vom Hals! Nein das konnte nicht sein! Ich musste warten bis nach der letzten Französischstunde und ausprobieren ob MEIN Medaillon passte. Heute dauerte diese wieder endlos lange. Ich fieberte dem Klingeln entgegen, dann packte ich meine Sachen ganz langsam ein, so dass ich die letzte im Klassensaal war und mich problemlos im Wandschrank verstecken konnte, ohne dass jemand mich vermisste.

Nachdem die Putzfrau endlich mit ihrem Putzwagen verschwunden war, kam ich aus meinem unbequemen Versteck hervor und  stieg wiederum hinter die Tafel. Ich steckte mein Federmedaillon in die Einkerbung.  Es passte! Mein Herz klopfte wild vor Aufregung. Hinter dem Geodreieck und dem Zirkel bröckelte und löste sich die Wand und die Tafel verschwand. Alles veränderte sich, es wuchsen Bäume; Blumen, Vögel flogen durch den ehemaligen Klassensaal. Wie im Dschungel sah alles aus, keine Bänke,  keine Stühle, nichts war mehr von unserm Klassensaal übrig. Ein großer mit vielen Pflanzen bewachsenen Bogen entstand vor mir. Als ich durchging verwandelte sich das schöne Paradies in einen hässlichen dunklen Tunnel. Je weiter ich ging, desto düsterer wurde es. Ich tastete mich langsam voran und hatte weiche Knie durch meine unverständliche Angst. Ich fühlte mich plötzlich sehr einsam:  "Was ist, wenn ich hier nie wieder herauskomme!" Meine Gedanken machten mich verrückt und ich musste fast weinen. Es war so dunkel, dass ich absolut Nichts sah. "Ach hätte ich jetzt bloß eine Taschenlampe!" war mein letzter Gedanke als ich plötzlich einen steilen Hang hinunterrutschte. Ich schrie so laut, dass meine Kehle schmerzte. Ich hatte Glück, denn fast wäre ich eine Klippe hinuntergestürzt, konnte mich jedoch gerade noch abbremsen und an einem Stein festhalten. Es wurde heller, denn Dutzende Fackeln leuchteten. Ein riesiges Labyrinth erstreckte sich vor mir; umkehren konnte ich nicht. Hier unten war es sehr windig. Auf einmal flog mir einen Zettel ins Gesicht. Überraschenderweise war es eine Karte, die mir den Weg durch das Labyrinth zeigte. Ich folgte dem genau beschriebenen Weg, denn ich wollte hier unten nicht einziehen. Nach einer halben Ewigkeit hatte ich endlich den Weg aus dem Labyrinth geschafft. " Welches Ziel hatte ich eigentlich? Warum wurde das hier alles erbaut? Ist hier vielleicht ein Schatz versteckt? Und wie um alles in der Welt komme ich hier wieder raus?" All diese Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Ich kam an eine Kreuzung mit Wegweisern. Rechts ging es zum Eulenstaub, ich hatte keine Ahnung was dies bedeutete und links ging es zum Fledermausgipfel. Ich entschied mich für Eulenstaub, dieser Name hatte etwas Spannendes an sich. Vorsichtig ging ich immer weiter und immer tiefer einen Berg hinunter. Ich hörte hinter mir eine seltsame Stimme und bekam Gänsehaut. "War hier etwa noch ein Monster?" Ich zitterte vor Angst. Als ich mich rasch umdrehte, huschte etwas an mir vorbei. Leider konnte ich es nicht erkennen. Plötzlich stand ein witziges Irgendwas vor mir. Mir standen die Haare zu Berge. Es tippte mir auf die Nase und flüsterte: " Hallooo! " Ich erschrak mich fast zu Tode! Vor mir stand ein kleiner Troll mit feuerroten Haaren und einem netten Gesicht. " Hallooo, ich bin Flamme und wer bist du? " Ich brachte keinen Ton hervor. Bei meinem nächsten Versuch stotterte ich fassungslos  " Hhhaaallllooo, iich bbbin Jjjjesssie! " -"Du bist der erste Mensch seit einer halben Ewigkeit hier unten. Wer bist du und wie bist du hier hineingelangt?" fragte er mich. Ich erzählte ihm meine Geschichte und fragte den Troll: " Warum wurde das hier alles erbaut? "- " Vor 150 Jahren ließ ein alter weiser Mann, der am Sterben lag, sich dieses unterirdische Tunnellabyrinth bauen, um seinen  Schatz zu verstecken. Er sagte mir damals: Wer es bis hierherschafft und alle Rätsel löst, soll den Schatz bekommen. Der Schatz besteht nicht aus Gold oder Diamanten, sondern es ist eine Gabe. Diese Gabe besteht darin, dass man mit Tieren auf wundersame Weise kommunizieren kann, ohne dass jemand anders dies merkt."

Ich war verblüfft, als ich das hörte. Jetzt wollte ich natürlich unbedingt diesen Schatz haben. Ich liebe Tiere und gerne möchte ich  mit ihnen reden können. Dies würde mir die Zukunft sehr vereinfachen, denn ich wollte unbedingt Tierärztin werden! Ich fragte Flamme : "Kannst du mich zum Schatz bringen?"-"Ja, gerne aber zuerst musst du ein Rätsel lösen. Ich warne dich aber, denn wenn du es nicht schaffen solltest, muss du für alle Ewigkeit hier unten bleiben. Das gefiel mir natürlich ganz und gar nicht, und so nahm ich mir vor, ganz geduldig zu überlegen. Ich wollte diesen Schatz unbedingt haben. Flamme erklärte mir: "Du musst diesen Text verbessern! " Sie überreichte mir ein Blatt Papier, eine leere Seite und einen Stift. Der Text lautete: " Hlalo, chi ibn Famlme, chi füher ichdh umz Sazcth. wnen du se ichtn safsfcht, tussm du reih bebilen!   Famlme  

Das war doch ein Kinderspiel, und es bewies sich endlich, dass ich am Sonntag zuvor nicht drei Stunden Deutsche Grammatik umsonst gelernt hatte. Ich schrieb auf die leere Seite: "Hallo, ich bin Flamme, ich führe dich zum Schatz. Wenn du es nicht schaffst, musst du hierbleiben!    Flamme"

Ich übergab die Verbesserung Flamme und der Troll führte mich zur Schatzkammer.  Bevor ich dort hineindurfte, musste ich noch ein Rätsel lösen damit ich  in die Kammer steigen konnte. Es lagen viele Eulen am Boden, und ich musste diese zu einem Pentagramm auf die richtigen Säulen stellen. Geometrie, ist nicht gerade meine Stärke, jedoch Aufgeben kam nicht in Frage. Ich versuchte es mit der ersten, sie passte nicht! Nach drei Versuchen hatte ich eine Eule auf der richtigen Säule. Ich platzierte noch eine Eule auf der gegenüberliegenden Seite. Die zwei Säulen wurden magisch mit Glitzer verbunden. Mit den übrigen Eulen tat ich das gleiche und bei der Letzten öffnete sich ein Portal wie von Geisterhand. Ich zögerte etwas, doch Flamme schubste mich hinein.

Vor mir war ein Strand  und rauschendes Meer.  Am Ufer des Strandes entdeckte ich eine kleine Gipseule mit einem Eulenmedaillon um den Hals. Von weitem sah ich eine riesige Welle auf mich zukommen. Ich befürchtete, dass die Eule von der Welle fortgeschwemmt werden könnte. Ich lief los um die Eule vor der Welle zu retten. Jedoch war die Welle schneller als ich. Ich konnte mein Unglück nicht fassen. So kurz vor dem Ziel, gab ich jedoch nicht auf und stürzte mich voller Überzeugung in die Wellen. Mutig schwamm ich wie ein kleiner Delfin ins Meer hinein. Vom vielen Schwimmen wurde ich immer müder, ich war am Ende meiner Kräfte und konnte mich fast nicht mehr über Wasser halten. Ich drohte fast zu ertrinken, als ich wieder ein ganz intensives Leuchten spürte. Mein Medaillon! Es zog mich in die Tiefe. Ich war völlig wehrlos und unkontrolliert. Die Luft ging mir aus, als ich die Eule auf dem Meeresgrundsah, ihr Medaillon leuchtete so wie meins. Mit letzter Kraft griff ich nach der Eule, als mir schwarz vor den Augen wurde.

Als ich erwachte, zupfte mir jemand am Ärmel und kniff mich in die Wange. "Aua!" schrie ich und öffnete ruckartig meine Augen. Ich lag am Strand, und Flamme war über mich gebeugt und lächelte mich an.  "Du hast es geschafft! Du hast das dritte und letzte Rätsel gelöst." Dann erblickte ich die Eule mit ihrem Medaillon neben mir.  Erlöst und mit zitternden Beinen stand ich auf, umarmte Flamme und dann gingen wir gemeinsam zurück. Flamme konnte nun nach 150 Jahren endlich wieder zurück nach Norwegen zu ihrer Familie. Müde und völlig erschöpft kehrte ich in meinen Klassensaal zurück. Ich war überglücklich, dass ich noch lebte und heil wieder herausgekommen war. Ich setzte mich auf meinen Stuhl, nahm die kleine Eule aus der Tasche und konnte es kaum fassen: "Hatte ich jetzt wirklich diese außergewöhnliche Gabe, die vielleicht sonst niemand besaß? Würde diese überhaupt funktionieren? Würde ich wirklich mit Tieren sprechen können?" Aber dies alles konnte bis später warten, denn die Augen fielen mir vor Müdigkeit zu. Ich legte den Kopf auf die Bank und der Schlaf übermannte mich. Ich träumte von Flamme, der sich freute endlich seine Familie wiederzusehen. Beim ersten Klingeln erwachte ich gut ausgeruht. Vor Schreck stupste ich die Eule um, diese fiel zu Boden und zerbarst in tausend Scherben. "Oh nein! Die ganze Arbeit umsonst!" Die Tränen liefen mir über die Wangen als ich  die Scherben aufheben wollte. Aber da, da lag ein kleines  blaues Fläschchen.  Das war bestimmt das wundersame Geheimnis. Mühsam öffnete ich es und aus dem bläulichen Puder entstand, gemischt mir meinen Tränen, eine lebendige Eule.

Tage später, als ich mit der Eule durch den Wald spazierte, konnte ich meine neue Fähigkeit erstmals ausprobieren. Flamme hatte recht gehabt und mein Traum ist in Erfüllung gegangen; ich konnte jetzt wirklich mit  Tieren sprechen! 

Ende             

                                                                                                                




Envoyé: 16:01 Sat, 17 March 2018 par: GOERENS Jessie