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Delvaux Ben

Waldspaziergang

 

Fort. Fort von dem neongrünen Flimmern der Groβstadtfassaden, das die undurchdringliche Schönheit der Nacht verblassen lässt. Fort von dem Qualm, der sich wie eine Schlinge um den Hals des Menschens legt und ihn bis zur Ohnmacht würgt. Fort von dem Pfeifen und Zischen und Schnauben und Quietschen, die das Trommelfell beim ersten zaghaften Kontakt erbarmungslos durchschneiden.

Ich zog mich in den Schoβ der Natur zurück, die mir aus Kinderzeiten noch durchaus vertraut war, um meine geschundenen Sinne an purer Idylle kosten zu lassen und mein aufgebrachtes Gemüt zur Rast kommen zu lassen. Hoffnungsvoll wie ein Küken, das nach verängstigten ersten Reisen in die Obhut der Glucke zurückkehren darf, begab ich mich in ein nahegelegenes Waldstück.

Mein Gemüt erheiterte sich progressiv, als ich gemächlichen Schrittes dem überwachsenen Waldweg folgte, den Blick an dem Farbenspiel der Blätter weidend. Diese erstrahlten durch die wenigen Strahlen der Nachmittagssonne, die das Wolkendach zu durchbrechen vermochten, in einem königlichen Purpur. Der Wind erst ermöglichte dieses wirbelnde Schauspiel, da er diese mühelos von den knochigen Ästen reiβen konnte. Und an der beachtlichen Schicht, die den Boden bedeckte, vermochte man den unermüdlichen, gar manischen Fleiβ der Naturgewalt zu erkennen, der die Blätter mitleidlos auf dem Waldflur verkommen lieβ, auf dem sie bis auf das Gerüst zerfressen wurden und somit ihre jämmerlichen Überreste offenbarten. Nachdem ich diesen schauerlichen Zyklus zum ersten Mal zu Ende dachte, da er ansonsten vom turbulenten Treiben des Tages überschattet wurde, verschloss ich die Augen.

Erschrocken und zugleich verärgert über die eigenen trübseligen Gedanken, die mir fast den Tag vermiest hatten, lieβ ich den Wind seine scheinbar mörderische Macht an mir entfalten, um mich seiner Machtlosigkeit mir gegenüber zu vergewissern. Spöttelnd nahm ich ihn durch die Nase auf, zerlegte und analysierte ihn fachmännisch. Ach was war er doch simpel gestrickt dieser Wind; hier der herbe Duft des Unterholzens, dort eine Brise von überreifen Äpfeln. Man konnte mich also gut und gerne als Herren über dieses Lüftchen beschreiben!

Doch dann, getragen durch den Bloβgestellten, segelte eine schimmernde Schneeflocke auf meine arrogant erhobene Nasenspitze. Die plötzliche Kälte durchbrach den Nebel meiner Tagträumereien, obwohl das Mosaik anfangs weniger und schlieβlich tausender Eiskristalle durch seine schillernde Pracht einem Traum doch durchaus nahekam. Ich verfolgte ihre spiralförmigen Routen, die die beiden Fronten Himmel und Erde mit ihren seidenen Schweifen verbanden, voll Interesse. Doch bald schon erblickte ich ein wahrlich jämmerlich zusammengekauertes Fellknäuel und meine unschuldige Erkundungsreise endete abrupt. Wie sich bei genauerer Inspektion herausstellte, handelte es sich bei letzterer um eine unternäherte Spitzmaus, die sich dem Frost gebeugt hatte und nun, die kleinen Glieder wie zum Schlaf angewinkelt, unter der weiβen Schneedecke ihren ewigen Schlummer führte.

Und dieses Mal würde niemand dieser Wahrheit eine lächelnde Maske aus Lärm und Qualm anfertigen können, um sie abzustupfen, für den Menschen ertragbar zu machen. Diese Mal würde die Stille über die vorherrschende Verweigerung des Unausweichlichen triumphieren. Und wenn der Tod unser aller Ende wispert, das wie der Wind in den dürren Ästen der Baumkronen hängt, wird er doch bald, gierig wie er ist, seine kalten langgliedrigen Finger nach einem weiteren endlosen Würgegriff ausstrecken.

 




Envoyé: 20:33 Thu, 15 March 2018 par: Delvaux Ben