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Lambert Nancy

Krebs oder mehr?



Auf dem Gipfel des Olymp, ein bisher von der Menschheit unberührter Ort, standen die Götter. Die meisten von ihnen waren in einem wichtigen Gespräch vertieft als sie bemerkten, dass Mater Terra fehlte. Uranus erklärte sich dazu bereit, nach Mater Terra, die von allen liebevoll „Terra“ genannt wurde, Ausschau zu halten. Er grenzte sich von den anderen ab, setzte sich hin und genoss die Aussicht. Die weite Umgebung, die einem eine quasi unendliche Sicht vom Gipfel aus ermöglichte, weckte in Uranus ein Gefühl von Heiterkeit und Ruhe. Während er in Erinnerungen und Tagträumen schwelgte, nahm er plötzlich in der Ferne eine ihm sehr bekannt vorkommende Gestalt wahr. Beim Näherkommen stellte Uranus fest, dass es sich bei dieser Gestalt um niemand anderen als Terra handelte. Doch Terra sah, im Gegensatz zu Uranus, alles andere als heiter aus. Erst nachdem auch sie den Gipfel erreicht hatte, unterbrachen die meisten Götter ihr Gespräch, um sie zu empfangen. Venus war die Erste, die Terra erblickte und lief ihr sofort entgegen. „Was ist denn mit dir los, Terra?“, fragte sie sie besorgt. „Du siehst so - wie soll ich sagen - niedergeschlagen aus.“

Terra stieß daraufhin einen tiefen Seufzer aus. „Es ist nicht so, als ob ich mich erst seit heute unwohl fühlen würde“, gab sie zu. „Aber im Moment geht es mir ganz besonders schlecht.“ Venus wusste zwar nicht, was Terra fehlte, versuchte jedoch ihr Bestes, um ihr zu helfen. Während Venus sich mit Terra zurück zu der Versammlung begab, erfuhr sie nach und nach alles, was Terra in letzter Zeit zu schaffen machte: Chronische Müdigkeit, Atembeschwerden, keine Ausdauer, das ständige Schwitzen… Nach und nach nahmen auch die anderen Götter Terra in Empfang. Merkur, der gerade ein Gespräch mit Neptun führte, fiel die unglückliche Terra sofort ins Auge und wollte ebenfalls wissen, ob sie an irgendetwas leiden würde. Nachdem Terra den Beiden sämtliche Beschwerden aufgelistet hatte, wurde sie von Neptun unterbrochen: „Du leidest bestimmt an Wassermangel“, vermutete er. Doch Terra schüttelte daraufhin sofort den Kopf. „Ganz im Gegenteil! Eher habe ich das Gefühl, dass ich immer mehr aus Wasser bestehe.“ Merkur, der auf Terras Problem mit dem ständigen Schwitzen aufmerksam wurde, versuchte ihr Kräuter anzudrehen, die angeblich gegen Fieber helfen sollten. Doch Terra lehnte das Angebot ab: „Ich leide nicht an Fieber. Ich habe nur das Gefühl, dass meine Körpertemperatur von Zeit zu Zeit ganz leicht ansteigt. Und dass ich manchmal an Atemnot leide. Es fühlt sich an, als ob mir jemand die Luft abschnüren würde.“

„Du solltest jetzt wirklich gut auf dich aufpassen“, mischte sich Saturn in das Gespräch ein, der zusammen mit Pluto die ganze Konversation verfolgt hatte. Er blickte Terra ernst an. „Was ich gehört habe, klingt nach einer äußerst gefährlichen Krankheit. Du solltest dich auf jeden Fall gründlich untersuchen lassen und auf alles vorbereitet sein.“ Terra blickte Saturn skeptisch an. „Was willst du mir damit sagen?“, wollte sie wissen. „Ich will dich nur vor dem Tod bewahren“, erklärte Saturn. „Und vor der Hölle!“, ergänzte Pluto.

„Moment mal!“, schrie jemand entrüstet in die Runde. Dieses Mal war es Mars, der das Gespräch belauscht hatte. „Hast du dir überhaupt schon mal Gedanken darüber gemacht, ob Götter überhaupt sterben können?“, schnauzte er Saturn an, woraufhin Letzterer mit den Schultern zuckte. „Das ist in der Tat eine berechtigte Frage“, meinte Uranus. Dieser hatte mittlerweile seinen Aussichtsposten verlassen und sich dem Gespräch ebenfalls angeschlossen. „Aber wenn man als Gott krank wird, sollte man auch den Tod nicht ausschließen.“ „Auf jeden Fall fühle ich mich dem Tode mittlerweile ziemlich nahe“, seufzte Terra.

„Vielleicht leidest du an Krebs“, mutmaßte Pluto. Terra wurde daraufhin ganz blass. „An Krebs? Bist du dir da wirklich sicher?“ Pluto schüttelte den Kopf. „Du solltest mal Jupiter fragen. Von uns allen kennt er sich mit Krankheiten am besten aus.“ Mit diesem Vorschlag war Terra einverstanden. Zwar zweifelte sie daran, dass Jupiter ein Wundermittel für sie parat hatte. Dennoch wusste sie, dass Jupiter in vielen Fachbereichen äußerst gebildet war und da stellte auch die Medizin keine Ausnahme dar.

Passend dazu war Jupiter gerade in ein Fachbuch für Medizin vertieft, als Terra ihn, auf einem großen Felsbrocken sitzend, etwas abseits vom Gespräch fand. Nachdem Terra ihm alle ihre Beschwerden aufgezählt hatte, wollte sie wissen, welche Symptome typisch für Krebs seien. „Deine Zellen wenden sich gegen dich“, erklärte Jupiter, „und bilden sich zu Tumoren.“ Terra blickte ihn daraufhin verwundert an. „Zu Tumoren?“ Jupiter nickte. „Deine Krankheit weist zwar dieselben Anzeichen wie Krebs auf, aber es scheint sich in deinem Fall um etwas anderes zu handeln. Um etwas Schlimmeres. Etwas, was ich noch nie zuvor gehört oder gesehen habe… Lass mich dich einmal gründlich untersuchen…“

Eine halbe Stunde später verließ Terra Jupiter und machte sich, noch kränklicher fühlend als zuvor, auf den Weg zurück zu den anderen Göttern. Was Jupiter ihr diagnostiziert hatte, klang alles andere als beruhigend. Terra musste schwer schlucken. Sie konnte es einfach nicht fassen.

Die anderen Götter waren immer noch in ihrem Gespräch vertieft und schienen die ganze Zeit auf Terra gewartet zu haben. „Und? Was hast du?“, wollten alle neugierig wissen. Terra musste noch einmal schwer schlucken, bevor sie es über das Herz brachte, diese Frage zu beantworten:

„Ich habe… Ich habe… Den Menschen!“

 




Envoyé: 17:44 Thu, 15 March 2018 par: Lambert Nancy