Retour

Kisch Raquel

Octernitus



Ich liebe Schokolade. Oder besser gesagt, ich liebte sie bis zu dem Zeitpunkt als ich Octernitus traf.

Es passierte im September. Draußen war es schon dunkel, der Wind heulte durch die Straßen und dicke Regentropfen prasselten gegen mein Fenster. Hin und wieder zuckte ein Blitz am Himmel und warf die verzerrten Schatten der alten Eiche, die in unserem Garten stand, an meine Zimmerwand. An dem Abend waren meine Eltern nicht zu Hause. Eigentlich sollte ich um diese Zeit längst im Bett sein, aber wie fast immer war ich noch gar nicht müde.

Während ich in meinem Bett lag und mit meiner besten Freundin telefonierte, wurde das Gewitter immer heftiger. Plötzlich hörte ich etwas. Unruhig schaute ich mich um, doch in meinem Zimmer war alles wie immer. Also wandte ich mich wieder dem Gespräch mit meiner Freundin zu, doch genau in dem Moment ertönte das Geräusch erneut. Es war so ein unheimliches Scharren. Vor Schreck ließ ich das Handy fallen und mit einem dumpfen Knall schlug es auf dem Boden auf. Ängstlich ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Was, wenn jemand versuchte einzubrechen? Oder noch gruseliger, wenn es ein Geist war? Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinunter.

Neben meinem Kopf ertönte auf einmal ein Schnurren. Entsetzt wirbelte ich herum. Zwei veilchenblaue Augen starrten mich an.

,,AAAAAAHHH!‘, schrie ich auf und wich bis ans Fußende des Bettes zurück. Jetzt bemerkte ich, dass auf meinem Kissen eine dunkelbraune, fast schwarze Katze saß und schnurrte.

,,Keine Angst, ich tu dir doch nichts‘‘, miaute sie nun und ihre Augen funkelten belustigt. Ich starrte sie mit offenem Mund an. Wurde ich verrückt? Katzen sprechen doch nicht!

,,Wer…Was…Wie…‘‘, stammelte ich, nachdem ich mich wieder einigermaßen vom Schrecken erholt hatte. Die Katze stand jetzt auf und kam mit einem kleinen Hüpfer auf meine Decke gesprungen.

,,Mein Name lautet Octernitus. Ich komme aus Malturien, dem Land der neun Schockoladenmonde. Kennst du das etwa nicht?‘‘, erwiderte Octernitus nun und ringelte den Schwanz um seine Pfoten. Dabei blickte er mich ein wenig mitleidig an.

,,Äh…Also…‘‘, sagte ich und räusperte mich. ,,Also, Octernitus, ich kenne Malturien nicht. Aber, warum sprichst du überhaupt mit mir? Ach was, das bilde ich mir bestimmt nur ein. Ein Kater kann nicht reden!‘‘

Ein entrüstetes Fauchen entfuhr Octernitus. ,,Natürlich kann ich sprechen! Schließlich habe ich den Auftrag erhalten, dir zwei Wünsche zu erfüllen.‘‘ Der Kater musterte mich nachdenklich. ,,Aber wenn du Malturien nicht kennst, hat es auch wenig Sinn, dir die Wünsche zu gewähren. Also wäre es vielleicht das Beste, wenn ich dir von uns erzähle.‘‘

Immer noch ein wenig verwirrt nickte ich. Octernitus stand auf und kam ein wenig näher. Ein paar Zentimeter vor mir legte er sich auf den Bauch, machte es sich bequem und schloss die Augen.

,,Würdest du bitte auch deine Augen schließen?‘‘, miaute er noch und zögerlich gehorchte ich. Eine angenehme Leere umhüllte mich und dann begann Octernitus zu erzählen.

,,Im Jahre 1.000 vor Christus entdeckten die Menschen die Schokolade. Zu Beginn war sie noch etwas Besonders und wurde respektiert, doch nach und nach kamen immer mehr Maschinen zum Einsatz.‘‘

Vor meinen Augen sah ich große Fabrikhallen, dreckige Straßen und schmutzige Arbeiter.

,,Schokolade wurde bald schon industriell hergestellt. Dabei kam es auch immer wieder zu sogenannten ,,Missgeschicken‘‘. Das waren beispielweise kleine Schokoladenfiguren, die den Normen nicht entsprachen. Solche wurden nicht verkauft, sondern vernichtet.‘‘

In meinem Kopf tauchten Bilder von tausenden zerbrochenen und schmelzenden Schokoladenfiguren auf. Teddybären, Hasen, Küken, Lämmer…

,,Doch am 9. September 1999 wurde Malturia, die Königin von Malturien, aus einer solchen Zerstörungsmaschine gerettet und gründete unser Land. Seit dem Tage erfüllen wir, alle 10 Jahre, einem Kind, dessen Schutzpatron wir sind, zwei Wünsche.

Bei uns findet jede missglückte Schokoladenfigur Zuflucht. In unserer Welt gibt es neun Schokoladenmonde und sieben Schokoladensonnen. Wir Katzen leben in der großen Eiche unserer Ahnen, die Hasen leben im Tal der Elfen…Malturien ist riesig und ich könnte noch zehn Stunden von meinem Zuhause erzählen, aber nun weißt du genug, um dir zwei Wünsche zu überlegen.‘‘

Ich musste jedoch nicht lange darüber nachdenken und sagte Octernitus meine beiden Wünsche. Als ich die Augen wieder öffnete, war er verschwunden. Draußen tobte das Gewitter immer noch und mein Handy lag auf dem Boden.

Am nächsten Tag fand ich einen Kater. Er saß in unserem Garten und seine hellblauen Augen funkelten in der Sonne. Sein Fell war dunkelbraun, fast schwarz. Meine Eltern waren bereit, ihn zu adoptieren und meinten, ich solle ihm einen Namen geben. Ohne lange zu überlegen taufte ich ihn Octernitus. Octernitus von Malturien. 

 




Envoyé: 11:19 Sat, 10 March 2018 par: Kisch Raquel