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Klaassen Eline

Als wir noch Fußball spielten



Damals spielten wir noch Fußball, zusammen. Doch heute ist Fußball kein Spiel mehr. Es ist ein Kampf, ein Kampf um Leben und Tod.

Sechs Jahre zählten unsere jeweiligen Leben damals. Zwei kleine Jungen, beide mit einem schier unendlichen Überschuss an Energie, einem Ball und Langeweile. Wir waren allein auf dem Spielplatz, ich mit dem Ball, er mit dem Mut. Wenn man klein ist, erscheinen einem die Dinge so einfach. Man macht sie einfach, man denkt einfach nicht an das Komplizierte. Ich sah ihn, er sah mich. Ein paar wenige Worte sprach er, sie glitten ihm so leicht über die Lippen. Unser gemeinsamer Wunsch war banal, unkompliziert, doch in ihm mündete eine solch gewaltige Freundschaft, die wir zu dem Zeitpunkt unmöglich hätten vorhersehen können.

Eine angespannte Stimmung herrscht in der Umkleide. Niemand wünscht dem Anderen Glück, alle starren verzweifelt vor sich hin, ganz in ihre eigene Welt versunken. Diese neunzig Minuten werden entscheidend sein für unserer aller Leben. Alles hängt von diesem einen Spiel ab. Wenn wir es vermasseln, ist alles vorbei.

Der Trainer betritt den Raum. Einige heben ihren hoffnungslosen Blick ein Stück, andere machen sich gar nicht erst die Mühe. Das Schweigen, das über uns liegt, ist eindeutig: Versager. Wir alle, einschließlich dem Trainer, sind Versager, und wenn wir jetzt kein Wunder vollbringen, werden wir für immer Versager bleiben.

Zahllose weitere solcher Nachmittage folgten auf jenen. Anfangs sprach keiner von uns ein weiteres Wort als das unbedingt Nötige, aber nachdem wir gute vier Wochen lang jeden Nachmittag miteinander verbracht hatten, wurde er schließlich doch von der Redseligkeit heimgesucht.

„Hey, du, wie heißt du denn eigentlich?“, hatte er mir vom anderen Ende des Feldes zugerufen, während er den Ball mit einem geschickten Tritt in Richtung Tor kickte. Ich warf mich auf die Seite und hielt mit meiner linken Hand den Ball auf. Dann rief ich ihm meinen Namen zu, ein wenig überrumpelt, doch irgendwie von einem unbeschreiblichen Glücksgefühl erfasst. So entstand unsere erste Unterhaltung, ganz alltägliche Dinge, eben das, was sechsjährige Jungen so interessierte. Nach etwa einem Monat fanden wir heraus, dass wir beide dieselbe Schule besuchten, und irgendwann baten wir unsere Eltern, gemeinsam hingehen zu dürfen. Auf diese Weise wurde unser Band immer stärker, bald schon spürten alle, die uns sahen, instinktiv, dass diese beiden Jungen etwas ganz Besonderes verband, etwas, das niemand auf Erden zu zertrennen vermochte.

Von draußen dringt tosender Lärm herein. Brüllende Zuschauer, freundlicher sowie feindlicher Art, wölfische Aggression erfüllt ihre Seelen. Sie alle wollen etwas Spektakuläres sehen. Sie alle werden es uns nie verzeihen, wenn wir ihnen nicht die Sensation liefern, die wir brauchen, um zu überleben. Und am Ende, am Ende hängt alles doch von mir ab. Ich bin es, der in der letzten Zeit schlecht gespielt hat. Ich bin es, der es vermasselt hat. Und obwohl niemand sich traut, es mir wirklich zu sagen, weiß ich doch, dass auch ich es bin, der uns hier heute rauszuholen hat.

Der Trainer kommt auf mich zu. Man muss wirklich kein Hellseher sein, um zu erkennen, wie niedergeschlagen, wie verzweifelt ich bin. Er öffnet den Mund, spricht mich leise an.

„Hey, ich weiß, dass du dir Vorwürfe machst, das Schicksal war uns halt nicht so freundlich gesinnt in letzter Zeit…Aber ich bin überzeugt, dass du das heute hinkriegst. Kopf hoch, Kumpel!“

Freundschaftlich klopft er mir auf die Schulter. Ich versuche, ein Lächeln über die Lippen zu bringen, doch wenn ich es schon schaffe, dann muss es wirklich mehr als kläglich aussehen. Etwas ungeschickt erkundigt er sich bei mir, ob ich meiner Mannschaft als ihr Anführer noch ein paar aufmunternde Worte zusprechen möchte. Ganz kurz wäge ich ab, abzulehnen. Es ist ein sehr verlockender Gedanke, aber ich weiß, wie übel man mir das nehmen würde. Man würde mich bis zum Ende meiner Tage als Versager, als Feigling verspotten, besonders, wenn wir verlieren. Es ist meine Pflicht, ihnen Hoffnung zu geben, auch wenn die letzte Hoffnung längst versiegt ist und wir eigentlich kein Recht darauf haben.

Als wir acht waren, kam ein neues Mädchen in seine Klasse. Sie hieß Sofia, hatte glatte, blonde Haare und hellbraune, warme Augen. Er mochte sie sofort, und obwohl er es sich erst später eingestand, denke ich im Nachhinein betrachtet doch, dass er vom ersten Tag an bis über beide Ohren in ihn verliebt war. 

Erstmals erzählte er mir von ihr zu einem Zeitpunkt, an dem sie bereits seit einigen Monaten seine Klasse besuchte. Sie hatte einen Vogel gefunden, der auf mysteriösem Wege in das Schulgebäude gelangt sein musste, und der nun ganz hilflos gegen die Scheibe flatterte. Aufgeregt war sie zu ihm gelaufen, weil er der Erste gewesen war, der ihr über den Weg lief, und hatte ihm von dem Tier berichtet. Sie waren gemeinsam zur Lehrerin gerannt, doch da diese sehr beschäftigt war und ihnen eigentlich gar nicht zugehört hatte, hatten sie schließlich einfach abgewinkt und selbst einen Weg gesucht, den Vogel zu retten. In einem Pappkarton mit Luftlöchern hatten sie ihn am Ende nach draußen getragen, stolz übers ganze Gesicht strahlend und unter den Augen sämtlicher begeisterter Klassenkameraden. Das Glitzern und Funkeln seiner Augen, als er mir die Geschichte erzählte, hatte ich damals seiner Begeisterung oder seiner Tierliebe zugeschrieben…

„Okay, Leute, auf geht’s! Toi-toi-toi, ihr schafft das schon! Gebt alles!“, ruft der Trainer uns noch zu, dann verlassen wir die Umkleide und betreten das Spielfeld, um mit dem Aufwärmen zu beginnen. Ein Schwall noch lauteren Johlens und Grölens der Zuschauer als zuvor überspült uns, von solch ohrenbetäubender Lautstärke, dass es nicht möglich ist, ihre Botschaften voneinander zu unterscheiden, geschweige denn, herauszufinden, ob es Fans unserer Mannschaft oder der des Gegners sind. Irgendwie schaffe ich es, den Lärm auszublenden und mich voll auf meinen Körper zu konzentrieren, den es nun aufzuwärmen gilt. Für das wichtigste Spiel meines Lebens.
Der Gegner ist stark, richtig stark. Nicht stärker zwar, als wir es mal gewesen sind, aber bei dem Unglück, das uns in der vergangenen Zeit verfolgt hat, doch stark genug, um uns zertrümmern, vernichten und in den Untergang zu befördern. Eigentlich.

Aber heute nicht.

Das erste Paar in unserer Klasse tauchte auf, als wir zehn waren. Eigentlich hatte weder ich noch er großes Interesse daran, wir spielten einfach weiterhin Fußball mit all den Kindern, die mitspielen wollten, und machten uns um solche Dinge nicht die geringsten Gedanken. Unsere Mitschüler aber erfasste es zum Teil wie eine Epidemie, und ehe wir’s uns versahen, entstand ein Liebespärchen nach dem anderen. Doch so schnell sich diese Lieben bildeten und verbreiteten, so zügig traten auch die Trennungen ein. Noch bevor wir überhaupt wussten, dass beispielsweise Natascha mit Tom ging, erreichte das Gerücht schon unsere Ohren, Natascha habe Tom das Herz gebrochen… Ich und mein bester Freund, wir lachten immer über diese Albernheiten, vollkommen überzeugt von der Illusion, uns würde es sicher nie erfassen, wir würden unsere Leben ausschließlich dem Fußball widmen können. Wir lachten, doch im Kern unseres Wesens mündete dieses Lachen in einer Angst, die wir nicht verstanden.

Er war noch elf damals, es war die Woche vor seinem zwölften Geburtstag. Sofia hatte ich längst völlig vergessen, und eigentlich lebte ich in dem Glauben, dass sie für ihn nicht mehr als jede andere Klassenkameradin bedeutete. Wie jeden Nachmittag wartete ich auf dem Fußballfeld auf ihn, den Ball unter dem Arm geklemmt, in der Vorfreude auf ein spannendes Fußballspiel.

Ich bemerkte die Gestalt an seiner Seite erst, als er das Feld betrat. Sie begleitete ihn. Dass es Sofia war, wusste ich nicht. Ich sah in ihr nur ein gewöhnliches Mädchen, das mitspielen wollte, etwas, dem ich im Grunde zujubelte, denn es ist immer besser, mit mehr Leuten Fußball zu spielen, als mit wenigen. Sie spielte gut, weit besser gar als die meisten Kinder aus meiner Klasse, und über dem lebhaften Fußballspiel vergaß ich ganz, verlegen zu sein. Ich erinnere mich sogar, am Ende des Spiels auf sie zugegangen zu sein, und sie in meiner ganzen Euphorie des Fußballs gelobt zu haben: „Für ein Mädchen kannst du echt richtig gut schießen!“

Sie lächelte, schien meinen von Vorurteilen verdorbenen Geist nicht einmal in Frage zu stellen. Als ich zum anderen Ende des Feldes lief, um den Ball zu holen, bemerkte ich, wie sie meinem besten Freund etwas zuflüsterte. Er wurde auf der Stelle tomatenrot, und sogar ich merkte, dass das nicht an der Anstrengung des Fußballspieles lag. Unfähig, über das richtige Verhalten in diesem Moment nachzudenken, lief ich einfach auf sie zu, ich rannte, ohne jegliches Gefühl zu verspüren. Ich wusste nur eines: Ich wollte, dass sie so schnell wie möglich auseinanderkamen.

Hand in Hand mit einem völlig fremden, fußballbegeisterten Kind betritt unsere Mannschaft das Feld. Es ist nichts Neues mehr, dieses traditionsgemäße Ritual, die Hände der Gegner schütteln, die Nationalhymne singen. Die Mienen der Gegner sind weit gelassener als die unserer Spieler. Eine Woge der Entschlossenheit ballt sich wie eine eiserne Faust in uns zusammen, verzweifelte, beharrliche Entschlossenheit, die so dicht ist, dass sie erst dann weichen würde, wenn wir wirklich alles verloren hätten. Das angriffslustige, feurige Funkeln in unserer aller Augen macht einen fast kranken Eindruck, und doch treibt es uns an. Jegliche Kontrolle über uns selbst haben wir verloren, wie wilde Tiere auf der Jagd. Und gerade das ist es, was es mir ermöglicht, zum ersten Mal im Leben seinen Blick standzuhalten, als er meine Hand ergreift.

Als ich in meiner ganzen Hilflosigkeit einfach auf sie zugelaufen war, stoben die beiden erschrocken auseinander. In ihrem Blick fand ich nicht mehr als Verständnislosigkeit, doch der meines Freundes zeugte von einer solch wütenden Enttäuschung, dass ich es nicht schaffte, ihm in die Augen zu schauen. Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen. Ich spürte, dass er sich einerseits ertappt fühlte, aber in gerade diesem Schuldgefühl mündete eine Wut von unerträglichem Gewicht, das durch seine Enttäuschung von mir ständig genährt wurde.

Irgendwann, nachdem wir eine gefühlte Ewigkeit lang schuldbewusst, unangenehm berührt und unendlich verletzt geschwiegen hatten, verließen wir in stummem Einvernehmen den Spielplatz, jeder für sich, ohne dem anderen auch nur einen letzten Blick zu schenken. Ich hatte alles zerstört, noch ehe es hatte anfangen können. Und das Schlimmste war, dass es ganz tief in meinem Wesen genau das gewesen war, was ich wollte.

Es kann nicht länger als ein Viertel einer Sekunde dauern, die wir uns ansehen. Er sucht meinen Blick, versucht, sich einen Weg in mein Herz zu bahnen, aber alles, was er zu finden vermag, ist Leere. Ich finde seinen Blick, seine Enttäuschung, seinen Wunsch, alles ungeschehen zu machen. Seine Lippen formen Worte.

„Warum hast du das gemacht?“ 

Ich überlege. 

Ich will antworten. 

Ich schüttele dem nächsten die Hand.

Etwa ein halbes Jahr später, als wir beide älter und klüger geworden waren, kamen wir durch irgendeinen belanglosen Umstand wieder auf diese Situation zu sprechen. Wir zelteten im Garten, und die rabenschwarze, sternengesprenkelte Nacht sowie die gleichmäßig zirpenden Grillen hatten uns sehr vertraulich gestimmt. Vielleicht war es die Müdigkeit, die mir die Fähigkeit, zu lügen, nahmen, oder mein Kinderherz war zu der Zeit noch rein genug, damit ich ehrlich zu sein vermochte. Wie dem auch sei, ich erzählte ihm jedenfalls die ganze Geschichte, und er hörte zu, ohne mich auch nur ein Mal zu unterbrechen. Er verstand mich, so, wie ich auch ihn verstand, und jetzt, da wir uns dessen beide bewusst geworden waren, sahen wir keinen Grund mehr, dem anderen böse zu sein. Der Unfrieden löste sich somit auf einfache, brüderliche Weise auf, so, als sei da nichts Großes gewesen. Das gegenseitige Verzeihen mochte jegliche Wut sofort ausgelöscht haben, im Keim erstickt, die Erinnerung aber konnte nichts auslöschen. Tief in ihm drin, das spürte ich, war etwas zerbrochen, das nie wieder zusammengeflickt werden konnte.

Die Hymne. Normalerweise der Zeitpunkt vor dem Spiel, an dem ich alles zu vergessen vermag, der ganze Belang mit einem Mal zu verfliegen scheint, lächerlich, albern, kindisch wirkt, der Moment, in dem ich voll und ganz in die Zeilen des Liedes eintauche und die gesamte Nation auf meinen Schultern spüre. Dann steigt plötzlich eine solch mächtige Woge des Stolzes auf mein Heimatsland in mir auf, dass es mir ganz kurz völlig egal ist, wie das Spiel ausgehen kann. Ein wunderschönes, befreiendes Gefühl. Eigentlich.

Aber heute nicht.

Das Einzige, was ich sehe, ist das Pappschild, mitten in dem gerührt das Volkslied schmetternden Meer aus Menschen. Sie ist die Einzige, die nicht singt. Wie in Trance lese ich die in schlichten Großbuchstaben angebrachte Botschaft, Buchstaben um Buchstaben entziffere ich. Noch ehe die Worte richtig zu mir durchgedrungen sind, tauchen in meinem Blickfeld plötzlich dunkle Flecken auf. Wie Tinte verbreiten sie sich, laufen langsam, bedrohlich aus, bis schließlich alles in eine ruhige, friedliche Schwärze getaucht wird. Ich hätte nie gedacht, dass der Tod so sanftmütig ist.

Sie kamen zusammen. Eigentlich stellte es kaum eine große Veränderung dar. Niemand wunderte sich darüber, es geschah einfach, ohne dass irgendjemand es in Frage stellte. Es wirkte ganz natürlich, so, als haben wir alle inständig schon immer gewusst, dass es so kommen würde. Er spielte immer noch Fußball mit mir. Manchmal nahm er sie mit, dann spielten wir zu dritt, einfach wie ganz normale Freunde, und sie unterließen während meiner Anwesenheit taktvoll jegliche Zärtlichkeiten einander gegenüber. Dennoch war eine gewisse Spannung anwesend. Was auch immer wir zueinander sagten wirkte unehrlich, gespielt, selbst, wenn es etwas vollkommen Banales war. Die Verbindung zwischen uns war einfach nicht mehr so eng, wie es gewesen war. Sofia bildete ohne jegliche Absicht eine Schlucht, eine Grenze zwischen uns, und mit jedem einzelnen Tag schien sie tiefer zu werden. Ich redete mir ein, es würde bestimmt vorübergehen, ich würde mich noch früh genug an sie gewöhnen.

Nasses Gras. Regentropfen prasseln auf mein Gesicht, auf eine seltsame Weise ein schönes und zugleich zerstörerisches Gefühl. Ich bin mir nicht sicher, ob ich lieber Regen oder Feuer auf meiner Haut brennen hätte.

An jenem Nachmittag kam er später als verabredet zum Fußballfeld. Ich wartete schon seit einiger Zeit auf ihn, da kam mir plötzlich Sofia entgegen. Wir kannten uns mittlerweile recht gut, und irgendwie hatte ich es geschafft, mich sogar ein bisschen mit ihr anzufreunden, obgleich sie es war, wegen der die Freundschaft zwischen mir und ihm nie wieder dieselbe sein würde. Sie hatte keinerlei böse Absichten gehabt, sie war nur im falschen Moment in die falsche Klasse gekommen.

Als ich meine Augen blinzelnd wieder aufschlage, sehe ich ihn. Er hat sich neben mich gekniet, sein Gesicht über meines gebeugt, und starrt mich nun unverwandt mit einem offensichtlich besorgten Blick an. Es verschlägt mir die Sprache. Das Einzige, was ich zustande bringe, ist, reglos liegen zu bleiben.

Er dachte, ich liebte sie. Er denkt es immer noch, denn ich habe in all den Jahren nie den Mut aufgebracht, ihm die Wahrheit zu sagen.

Er reicht mir die Hand. Ich mache Andeutungen, sie zu ergreifen, richte mich dann jedoch aus eigener Kraft auf. Schmerz verzieht sein Gesicht.

„Warum hast du das gemacht?“, flüstert er abermals. Ich bohre meinen Blick in den seinen, zwei verzweifelte, flehende Blicke. Wir werden auf das Feld gerufen, das Spiel beginnt. Jegliche Zuversicht, die mich zuvor noch beschlichen hatte, verlässt mich.

Nach der sechsten Klasse trennten wir uns. Ich habe nie wieder mit ihm geredet nach diesem letzten Schultag. Er stand in einer Ecke und gab Sofia einen Kuss auf die Lippen. Ich beobachtete ihn, und er wusste das. Für ihn muss es wie Neid ausgesehen haben, der meine Seele vergiftete. Aber es war kein Neid. In Wahrheit war es Angst. Die Angst, den besten Freund zu verlieren, den ich je gehabt hatte. Und durch gerade diese Angst habe ich ihn auch verloren.

Der Ball gelangt, noch ehe wir überhaupt die Andeutung einer Chance erkannt haben, ihn zu ergattern, in den Besitz der Gegenmannschaft. Hoffnungsvoll trotten die meisten hinterher, in der Hoffnung, er möge sich auf sie zu bewegen, doch niemand unternimmt etwas. Dass einer der Gegner den Ball ins Aus schießt, ist reines Glück. Für den Bruchteil einer Sekunde verfange ich mich im Blick dessen, der den Fehler begangen ist. Er ist es. Ohne zu überlegen hechte ich zum Ball. Meine Handlungen verlaufen vollkommen unterbewusst, das Einzige, woran ich denken kann, ist er. Ehe ich mich’s versehe, befinde ich mich in Reichweite des Tores. Neben mir steht er, sein Fuß schnellt nach vorne, um mir den Ball wegzunehmen, doch es missglückt ihm. Ich schaue ihm fest in die Augen. Die Worte, die schon so lange in meinem Herzen gefangen sind, entwischen, rutschen auf meine Zunge. Ich hole tief Luft, dann lasse ich sie fallen.

„Verzeih mir“, flüstere ich ihm zu. Eine Träne kullert über seine Wange, trifft in der Luft auf meine, verschmilzt mit ihr, ehe sie gemeinsam ins Gras fallen. Dann schieße ich das entscheidende Tor. Weil ich ihn liebe. 

 




Envoyé: 18:59 Wed, 7 March 2018 par: Klaassen Eline