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Mertz Joy

Die Endlichkeit der Unendlichkeit



Endlich schloss ich die Tür hinter mir ab und schlug den Weg in Richtung des nächsten Dorfes ein. Zu Anna. Während ich der Straße nach zu den Feldern ging, die zwischen unseren Dörfern lagen, stöpselte ich mir meine orangen Kopfhörer in die Ohren und drehte das Volumen meines Handys voll auf.

Da war ich. Weg von der Straße. Weg von den Häusern, dem Lärm. Der schmale Feldweg schlängelte sich den kleinen Hügel hoch und verschwand dahinter aus meinem Sichtfeld. Der pochende Bass in meinen Ohren schirmte jedes Geräusch der Welt ab. Hier war nur ich und der kleine Weg, der scheinbar bis zum Horizont reichte. Ein plötzliches Gefühl der Unruhe und Freiheit beschlich mich. Ich schloss die Augen und meine Füße begannen sich unter meinem Körper zu bewegen. Ich lief. Ich lief dem Horizont entgegen, folgte der Schwärze hinter meinen Augenlidern. Das Herz in meiner Brust schlug schneller, lauter, und mischte sich unter die Melodie, die in meinen Ohren dröhnte. Der Wind schlug auf meine Handflächen als ich beide Arme weit von mir streckt; und als das Lied seinen Höhenpunkt erreichte und auf dem Dominantseptakkord verweilte, blieb ich stehen und öffnete meine Augen. Mein Blick heftete sich zu meiner Rechten an den Horizont. Alles was ich wahrnahm war die Farbe. Die Farbe des saftigen, frischen Grases, das nach Wochen unter dem gefrorenen Boden nun in seinem gewohnten Grün aufsprießen konnte. Dahinter die Felder gefüllt mit strahlend gelben Raps, der nach warmen Honig und Olivenöl roch und meine gesamte Sinneswelt ausmachte. Und wie sich diese Farben an die verschwommene Linie der fernen, blauen Berge schmiegten, die ich kaum ausmachen konnte. Blaue Berge, die sich in den blauen Himmel hinaufstreckten und ihn mit ihren Spitzen zu berühren schienen. Der gleiche Himmel über den Bergen wie über meinem Kopf. Ein Gefühl der Unendlichkeit trat neben die Freiheit, die sich in meinem Inneren breitmachte. Das Gefühl, dass alles das von mir wegging auf irgendeinem Weg wieder zu mir kam - wie ein Kreis, der sich schloss. Das Wissen, dass die Berge, die ich fernab am Horizont sah nicht mehr zu meiner Heimat gehörten, sondern in Frankreich standen. Vor meinen Augen vermischten sich die Farben Blau, Gelb und Grün zur Farbe der Unendlichkeit. In jeder Faser meines Herzens, in jeder Synapse meines Hirns, in jeder Zelle meines Körpers - ein zeitloses Gefühl der Unendlichkeit.

Der Wind wehte mir durch meine Haare und wie ein Schlag traf es mich als ich in der Ferne die vier Türme von Cattenom sah, als der Akkord zusammenbrach und sich auflöste. Wie ein Monster lauerte es jenseits der Grenze. Über drei von ihnen hing drückender Rauch, der den an sonst stahlblauen Himmel verschmutzte. Irgendetwas war eigenartig. Der Rauch über den Türmen schien dunkler...

Ich nahm die Kopfhörer aus den Ohren und hörte das laute Dröhnen der Sirenen.

 




Envoyé: 22:05 Mon, 5 March 2018 par: Mertz Joy