Retour

Dams Yana

Teddy



Jetzt, lange danach, trete ich in mein Zimmer und finde meinen alten Freund wieder. Wie er da sitzt, auf dem Bett, aufrecht, als hätte er längst auf mich gewartet. Er sieht etwas verstaubt aus, der arme kleine Bär, was leider nicht an meine Erinnerungen zurückfällt. Mein Bär, mein einziger Freund, der Einzige, der mir damals immer zuhörte, mit dem ich stundenlang reden konnte, der mich drückte, der immer  bei mir war. Der Einzige, der mein kleines, so kurzes Leben miterlebte.
Ich setze mich aufs Bett, ohne eine einzige Falte zu entfachen, ohne dass die Matratze einsinkt. Ich schaue mich im Raum um; mein alter Schrank steht immer noch da, leicht geöffnet. Der Spiegel vorne an der Tür ist immer noch zerbrochen. Aber man hat die Scherben wieder aneinandergeklebt. Bis auf eine. Diese eine Scherbe, die alles änderte. Mein Schrank ist leergeräumt, und hinten im Zimmer stapeln sich Kisten. Mein Bücherregal ist ebenfalls leer, genauso wie mein Schreibtisch. Meine Zimmerpflanzen stehen aber noch da, genau wie immer; die weiße Rose am Fenster, die weißen Gardinen hängen davor. Meine Tapete, dieses schöne Hellrot, leicht verblasst.
Mein Bär scheint meine Gedanken zu lesen. Er ist wie immer, ruhig, schaut mich an und hört und liest meine Gedanken. Mein Bär, der mein einziges Geheimnis kannte. Wenn ich ihn anschaue, kommen gute Erinnerungen hoch. Wie wir zusammen in Urlaub gefahren bin und ich mich die ganze Fahrt über an ihn kuschelon konnte, wie er mich vor den bösen Geister nachts in meinem Zimmer versucht hat zu beschützen. Er hat immer mit uns gefrühstückt. So oft habe ich mit ihm gelacht, so oft. Und so oft hat er zugeschaut. Diese Nächte, in dem er mich nicht beschützen konnte. Diese Nächte, in denen er zugesehen hatte. Diese Nächte, für die ich nichts konnte. 
Er sieht mich an, als wolle er sagen, dass ich alles überstanden habe, aber er weiß, dass es gelogen ist. Ich wollte doch, dass Papa glücklich ist, ich wollte, dass er Mama nichts tut. Ich wollte, dass er mir meinen Bären zurückgibt, und ich wollte, dass er stolz auf mich ist. Diese Gefühle, als er mir dann die Nächte, in denen Mama nicht da war, ins Ohr flüsterte, dass er mich lieb hat. Ich kann die Gefühle nur noch beschreiben, sie waren schön. Es gibt nichts Schöneres, als wenn dein Papa stolz auf dich ist und dir sagt, dass er dich lieb hat. Diese Gefühle, als er mir Küsse gab, auf die Wange, auf den Hals, auf die Schulter, auf den Bauch. Diese Gefühle, wenn er mir mein Pyjama hochzog, seine Zunge in meinem Nabel vergrub und mit seinen kräftigen, großen Händen durch mein blondes Haar fuhr. Es war alles angenehme Gefühle, im Gegensatz danach. Als ich Mama das erzählte, wurde sie furchtbar wütend. Das verstand ich nie, ich hatte nie das Schlechte in Papa gesehen. Für mich waren diese Berührungen nichts grausames, dachte, dass jeder Vater seine Tochter küsst, umarmt, knuddelt. Was macht das denn für einen Unterschied ob das jetzt auf der Couch, in der Küche bei Besuch oder im Schlafzimmer ist?

Papa war der Beste, bis dass eines Nachts Mama nicht mehr nach Hause kam. Es war bereits spät, ich war müde. Ich war 16, schön, jung und stur. Als Papa nachts in mein Zimmer kam, fuhr ich hoch. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn, er fuhr mit seinen Händen durch mein Haar. Ich umarmte ihn, fühlte mich immer sicher und wohl, er schenkte mir Aufmerksamkeit, wie der Vater halt seiner Tochter diese schenkt. Aber etwas war anders diese Nacht. Er küsste meine Wangenknochen, meine Wangen, meinen Hals, meine Schulter. Er zog meinen Pyjama hoch, aber ich drückte ihn weg. Ich wollte nicht mehr, dass er mich auszog, wollte auch mal meine Privatsphäre und mein Körper gehörte doch nur mir. Vater musste das verstehen. Ich wollte es ihm erklären, war mir sicher dass er das verstehen würde. Er war auf diese Reaktion nicht gefasst, rastete aus. Eine Duftwolke von Alkohol umhüllte ihn. Er schlug mir ins Gesicht, zog mir an den Haaren, riss mir mein Nachthemd vom Leib. Ich wollte ihm meinen Körper nicht zeigen, verschränkte die Arme vor meinen Brüsten. Ich schrie, er hielt mir den Mund zu. Angst, Versagen, Schuldgefühle jagten mir durch den Kopf, ich spürte, wie meine Seele zerriss, zerbrach, in tausend kleine Scherben. Ich war innerlich gebrochen, zu schwach für diese Welt, zu enttäuschend für ihn. Er drückte mich auf die Matratze, den Kopf nach unten. Mit einer Hand zog er mir meine Hose aus, öffnete die seine. Ich weinte, versuchte mich loszureissen, aber das verschlimmerte alles nur noch. Ich verstand nicht, wieso Papa das machte. Wo war seine Zärtlichkeit, seine Aufmerksamkeit, seine Liebe? Bei jedem seiner Stöße durchdrang mich einen grausam stechenden Schmerz, das Gefühl, als würden die Scherben meiner Seele mich innerlich aufschlitzen, mir meine Kräfte und meine Hoffnung nehmen, mich innerlich umbringen. Er zog mir an den Haaren, ich musste hochschauen. Da erblickte ich meinen Bär. Er schaute zu, er tat nichts. Ich rief nach ihm, verzweifelt, nach Luft schnappend während Papa immer wieder sagte, dass ich ihn enttäuschte, dass ich es wieder gutmachen musste, dass ich die Schuld für Mamas Verschwinden war. Ich war schuld, ich ganz allein. Ich musste büßen, jede Nacht. Dabei verstand ich selbst nicht, warum Mama wegging und ich nicht mitnahm. Ich vermisste sie auch, auch ich hatte damit viel zu kämpfen, aber das zählte für Papa nicht.  Und jede Nacht sah mir Teddy zu, ich bildete mir ein, dass auch er weinte.
Eines Nachts fiel er vom Schrank aufs Bett. Ich umklammerte ihn, weinte 
innerlich, gab keinen Ton von mir. Den durfte Papa mir nicht wegnehmen, den musste er mir lassen! Jeden Abend war Papa wütend. Jede Nacht schlug er mich. Dieses Pochen im Gesicht war die Belohnung für mein Bravsein. Immer, wenn Papa fertig war, schloss er seine Hose, spuckte auf mich, verlies das Zimmer. Ich war außer mir, war wütend, traurig, gebrochen, am Ende. Ich griff nach meinem Bären, drückte ihn, weinte laut, hatte starke Schmerzen im Unterleib. Papa verstand das nicht. Wieso konnte ich nicht so sein wie er es wollte? Wieso musste ich so sein wie er es wollte? Wie stark hatte ich mich verändert im Laufe meiner Jugend, dass ich Papa so enttäuschte?
Ich nahm die Vase, in der meine Rose stand, schmiss sie gegen den Spiegel. Beide zerbrachen auf der Stelle. Der Spiegel war zerstört, zerstört wie mein Inneres, wie meine Seele. Ich nahm die größte Scherbe, schnitt mir in den Arm. Ein sehr angenehmes Gefühl. Ein Gefühl, als würde das rinnende Blut meine Seele heilen, entlasten, erlösen. Als würde sich das Blut mit meinen inneren Tränen verschmelzen. Ich schnitt weiter, tiefer, jede Nacht nachdem Papa fertig war.
Mein Bär saß neben mir, kuschelte sich an mich. Er kannte mein kleines Geheimnis, das ich nie irgendjemandem erzählt habe. Er wusste, wie Papa war, wenn er wütend war, wenn ich ihn enttäuscht hatte,  wenn ich Mama sein sollte. 
Mein Bär weinte, aber ich konnte nicht mehr. Mit zwei schnellen Bewegungen, tief, angenehm, erlösend, brach ich zusammen, kurz bevor ich meine Mutter hörte. Mir war schwarz vor Augen geworden, es war vorbei. Mein Bär lag neben mir, als ich diese Welt verließ. Nur er sah noch, dass meine Mutter in mein Zimmer kam, mich umarmte, weinte, kämpfte, dass ich es doch noch schaffen würde. Aber nur mein Bär war die ganze Zeit bei mir gewesen, hat sich einen Teil meines Kummers aufgebunden. Mein Bär ist die Erinnerung an Gutes wie Hoffnung. Nur an Gutes. Er war der EInzige, der mich nicht verlassen hatte. Er ist der Beweis, dass es doch noch wahre Freundschaften gibt. 

 




Envoyé: 14:26 Mon, 5 March 2018 par: Dams Yana