Retour

Gira Tina

Ich hätte etwas tun können...



Blasser Mondenschein belichtete den kleinen Hügel, gedämpft durch die Lichter der nahen Stadt. Ein silbern glänzender Fluss schlängelte sich durch die Landschaft, der immer wieder von schweren Metallbrücken überquert wurde. Die Wiesen waren peinlich genau eingezäunt. Die Straßenlaternen an der viel befahrenen Hauptstraße waren so hell, dass kein einziger Stern zu erkennen war. Nie war es auch nur für ein paar Sekunden still, immer war ein leises Rauschen der Automotoren zu hören. Die ganze Umgebung war deutlich gekennzeichnet von Menschen.

Inmitten des Ganzen, auf dem kleinen Hügel, saß eine schöne, silbern getigerte Kätzin. Den schlanken Kopf hoch erhoben spiegelte sich in ihren blassgrünen Augen der kaum zu erkennende Mond. Sie saß da und wartete. Wartete auf jemanden, von dem sie hoffte, dass er kommen würde. Hoffte, dass es noch nicht zu spät war.

Als endlich ein leises Knacken im Unterholz das Ankommen einer zweiten Katze ankündigte, stand die Silberngetigerte langsam auf. Als ihre Pfoten den vertrockneten Boden berührten, sprossen dort sofort wieder Blumen in die Höhe. Aus einem Gebüsch schlängelte sich eine blassrote Kätzin mit einer weißen Schwanzspitze. Leise fluchend stieß sie mit der Pfote eine Plastikdose zur Seite, die jemand achtlos in die Natur geworfen hatte. „Tja Lenora, sieht so aus, als wären deine Bemühungen als Hüterin der Natur umsonst gewesen…“, stellte der Neuankömmling fest und ließ sich neben ihrer Freundin nieder. „Ich weiß nicht wie du, Flame, es als Hüterin schaffst, dass die Menschen immer noch an wahre Liebe glauben. Aber hier in der Natur ist alle Hoffnung verloren.“ Traurig betrachtete Lenora einen jungen Fuchs, dem die einzige Beute seit Tagen verloren gegangen war, weil das Kaninchen unter einem Elektrozaun durchgelaufen war.

„Früher hatte ich gedacht, ich müsste den Menschen nicht zeigen, dass es eine schlechte Idee ist, die Natur zu verändern und die Umwelt auszubeuten. Dass sie irgendwann von selbst darauf kommen würden, spätestens nach der ersten durch ihr Einwirken entstandene Atomkatastrophe. Doch verstehen sie etwas? Nein. Manche wollen etwas unternehmen, aber das dauert viel zu lange. Manche geben sich nach außen hin, als ob sie ganz viel tun würden und zuhause werfen sie ihre Plastikflasche irgendwo hin. Und dann gibt es noch die, denen alles egal ist. Bis das eine Problem aus der Welt geschaffen wurde, hat der Plastik sie schon lange alle getötet…“ Seufzend nahm sie vor ihrem inneren Auge ein Szenario wahr, bei dem ein Autofahrer eine leere Bierdose aus dem Fenster warf. Sie hatte schon lange aufgehört zu zählen, wie oft das passierte. „Früher hätte ich etwas tun können. Ich hätte dem Ganzen ein Ende setzen können.  Ich hätte ihnen ins Gewissen reden, sie überzeugen können. Ich hätte etwas tun können… Aber nun ist es zu spät. Das Problem ist da und höchstens wieder aus der Welt zu schaffen, wenn jeder mithilft. Aber wird das jemals passieren?“

Nachdenklich ließ sie den Blick in die Ferne schweifen. „Wenn nicht bald etwas passiert, wird die Natur sich aufbäumen. Und dann werden die Menschen sich fragen, warum sie nichts getan haben. Irgendwann werden sie einmal von ihren Kindern gefragt werden, warum sie nichts getan haben. Und wenn sich nicht etwas grundlegend ändert, werden sie nur noch antworten können, dass sie nichts getan haben, obwohl sie doch etwas hätten tun können.“

 

 




Envoyé: 18:36 Thu, 31 January 2019 par: Gira Tina