Retour

De Jesus Almeida João Philippe

Lucy



Ich hörte nur noch einen lauten Knall. Jemand hatte die Haustür mit Wucht zugeschlagen, womöglich hatte er wieder einen harten Tag im Büro hinter sich. Ich ließ die Suppe kurz auf dem Herd stehen und schaute nach, was los war. Langsam dämmerte mir, dass ich alleine und niemand heimgekommen war. ,,Wieso sollte jemand um diese Zeit das Haus verlassen?‘‘, dachte ich. Plötzlich lief es mir kalt den Rücken hinunter. Hatte Lucy, meine Tochter, etwa das Haus verlassen?  Sie war immerhin, neben mir, die Einzige im Haus. Ich lief die Treppe hinauf und rannte in ihr Zimmer, meine Augen weiteten sich und ich fing an zu schwitzen. Niemand da, all ihre Sachen waren weg. Ich rannte die Treppe hinunter, griff nach dem Telefon und rief meinen Mann an.

,,Ist Lucy bei dir? Hast du sie gesehen?‘‘, fragte ich hektisch. Er antwortete: ,,Schatz, was redest du da? Lucy ist -‘‘, bevor er seinen Satz beenden konnte, schrie ich: ,,Nein, dort ist sie nicht! Sie ist nirgendwo! Ich hab nur die Haustür gehört... sie ist weg!‘‘. Er versuchte mich zu beruhigen und meinte mit einer sanften Stimme, dass alles wieder gut werde. Ich fiel auf die Knie, begann zu zittern und stottern. Der Telefonhörer baumelte in der Leere, manchmal ertönte ein kurzes ,,Hallo?‘‘, eine halbe Minute später nur noch ein sich wiederholender Piepston. Er hatte aufgelegt. Ich war zu schwach um aufzustehen, ich fühlte mich gelähmt, nicht fähig zu glauben, dass sie weggelaufen war. Ich versuchte aufzustehen, erfolglos. Ich legte mich auf den kalten Boden hin und starrte die Decke an. Ich erinnerte mich an all die guten und schlechten Zeiten, die ich mit Lucy hatte: Als sie einmal als kleines Mädchen von einem Huhn verfolgt wurde und herumschrie. Ihre ersten Schritte, ihr erster Schultag, als sie zum ersten Mal ihre Freunde zu einer Pyjama-Party eingeladen hatte. Welch schöne Momente! Eines Tages änderte sich jedoch alles. Es begann damit an, dass sie bei einer Freundin übernachten wollte und früher nach Hause kam als vorgesehen. Sie hatte sich anscheined mit ihrer Freundin zerstritten und hatte meinen Mann angerufen, um sie abzuholen. Jedoch war sie... anders, als wäre es nicht meine Tochter, nicht meine Lucy. Seitdem fühlte sich das Haus auch menschenleer an. Mein Mann machte Überstunden und war nur noch abends hier, und Lucy...sie war ruhig, nicht mehr so verspielt und energiegeladen, wie sie es früher einmal gewesen war. Wenn diese eine Nacht etwas mit ihrem plötzlichem Verschwinden zu tun hatte, warum jetzt? Das war doch schon Jahre her! Wieso sollte sie jetzt erst weglaufen?

Plötzlich ging die Tür auf. Ich stand auf und rannte zu ihr, zu meiner kleinen Lucy. Als ich jedoch den Flur erreichte, standen zwei Männer dort. Mein Mann und ein Fremder. Spontan sagte der Fremder: ,,Wie ich sehe, ist es also wieder passiert.‘‘ Ich guckte ihn verwirrt an und fragte: ,,Was? Was ist wieder passiert?‘‘ Ich wandte mich an meinen Mann: ,,Wovon redet er da?‘‘ ,,Schatz, hör endlich auf damit.‘‘, stotterte er verzweifelt. Ich starrte ihn an, komplett ahnungslos. ,,Ich versteh‘ nicht, wo ist Lu-‘‘

,,Lucy ist tot verdammt...‘‘, schrie er, ,,Schon seit Jahren und du tust jeden Tag so, als sei sie..., als sei sie noch...‘‘ Ich schaute ihn an. Was? Lucy ist tot? Das war’n Witz, oder? Er fing an zu weinen und umarmte mich. Er fühlte sich kalt an, obwohl es noch nicht Abend war und der Sommer gerade angefangen hatte. Ich blickte zur Tür hinaus, die sie nicht geschlossen hatten, und sah eine kleine Gestalt. Sie trug gänzlich verdreckte Kleider und war mit Erde und Blut übersät. Sie trug ein Schild bei sich und begann etwas draufzuschmieren, ohne überhaupt draufzuschauen. Sie starrte mich mit ihren dunklen, leeren Augen an und wandte keine Sekunde ihren Blick von mir ab. Sie lächelte umnachtet und zeigte mir dann das Schild. Ganz rot verschmiert stand drauf: ,,Lass mich nicht wieder im Stich, Mama!‘‘

Ich schrie.

 




Envoyé: 13:43 Mon, 26 February 2018 par: De Jesus Almeida João Philippe