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Hamen Vicky

Schmetterling



Vanessa.

Ich merke, wie unglücklich ich ohne dich bin. Ich merke, wie traurig ich ohne dich bin.

Vanessa.

Ohne dich ist mein Leben sinnlos. Aber was soll ich tun? Kannst du mir es sagen? Oder kannst du mich von meinen unendlichen Qualen befreien? Kannst du?

Nein.

Wie denn auch? Das muss ich alleine bewältigen. Schaffe ich das?

Ich glaube nicht.

Aber es ist besser ein Licht zu entzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen. Werde ich das Licht entzünden können? Wo doch meine Seele schon lange von der Dunkelheit verschlungen wurde.

 

Ich glaube nicht.

Mir fehlt die nötige Kraft dazu.

Der nötige Wille.

Deine Liebe, Vanessa.

Aber du hast mich verlassen, mein Schmetterling.


Es ist nun genau ein Jahr her. Ein Jahr ist seit diesem grausamen Tag vergangen. Seit einem Jahr bin nun allein, habe alles verloren.

Meinen Job.

Mein Haus.

Mein Leben.

Ich kann nicht mehr.

Nicht ohne dich, Vanessa.

Wir schreiben das Jahr 1979. Wir waren beide so verliebt, so sehr dass ich dir am zweiundzwanzigsten August einen Heiratsantrag gemacht habe - den du mit Freunden angenommen hast.


Ich weiß noch genau, wie ich mich damals gefühlt habe. Jung, begehrt und ein richtiger Mann, denn ich durfte die schönste Frau auf Erden heiraten, ein engelsgleiches Wesen, einen Schmetterling.

Dir gefiel es, wenn ich dich Schmetterling nannte, denn das war nämlich die Bedeutung deines Namens und ich liebte ihn so, wie ich dich liebte, Vanessa. Du bist immer alles gewesen für mich.

Ich plante.

Plante mit dir unsere Hochzeit. Es sollte das schönste Fest auf der ganzen Welt werden. Ich plante mit dir eine wunderschöne Zukunft. Wir wollten Kinder. Zwei, aber vielleicht auch drei. Ich versprach dir ein großes Haus; mit meinem Job als Firmenleiter konnte ich es mir leisten.

Ich versprach dir einen Garten. Einen Garten voller prächtiger Blumen, wo hunderte von Schmetterlingen von Blüte zu Blüte fliegen, um den süßen Nektar zu sammeln. Alles wäre wunderbar gewesen. Du hättest ein besseres Leben, an der Seite eines Mannes, der dich abgöttisch liebte.

Um unsere Verlobung zu feiern, hatte ich, ganz heimlich, nach einigen wunderschönen Wohnhäusern Ausschau gehalten. Ich fand eines, was sich direkt am Meer befand, einen Traum, den ich dir erfüllen wollte.

Am dreizehnten September teilte ich dir diese Überraschung mit und du warst aus dem Häuschen. Du hast mich umarmt, mich geküsst und mir zärtlich ins Ohr geflüstert, wie sehr du mich lieben würdest und, dass ich bestimmt ein toller Vater sein würde. All diese schönen Worte, ausgesprochen von deinen sinnlichen Lippen, mit deiner melodischen Stimme, ließen mich so glücklich stimmen. Ich wusste, dass du für mich die perfekte Frau warst. Ich liebte dich so sehr.

Und dann hast du mich gefragt, wann wir unser zukünftiges Haus besichtigen würden. Du konntest es kaum erwarten. Mit einem freudigen Strahlen im Gesicht meinte ich, dass wir am Nachmittag fahren würden. Natürlich erwartete ich, dass du mich begeistert anlächeln würdest, doch in diesem Augenblick stand dir die Angst im Gesicht geschrieben.

So hatte ich dich, in den drei Jahren, weit wir uns kannten, noch nie erlebt. Ich erinnere mich, dass ich in diesem Augenblick besorgt war. Mehr als nur besorgt. Ich fragte dich, ob alles in Ordnung sei, doch du hast nur den Kopf geschüttelt.

Ich merkte, wie dir der Schweiß auf der Stirn klebte und nahm dein leichtes Zittern wahr. Abermals fragte ich, ob alles in Ordnung sei. Du hast mir dann erklärt, dass heute der dreizehnte September sei. Ich zuckte nur mit den Schultern und meinte: “Na und?”

Du jedoch hattest den Blick abgewendet und dann “Freitag” geflüstert.

Natürlich wurde mir in dem Moment klar, was du hattest, aber dennoch konnte ich es nicht verstehen. Ich kannte dich schon lange, doch ich habe nicht gewusst, dass du abergläubisch warst. Ich lachte nur und nahm dich in den Arm.

“Liebling, es wird schon nichts passieren. Ich bin ja bei dir. Und wenn wir heute nicht gehen, dann haben wir womöglich eine einmalige Chance verpasst. Glaub mir, du wirst dieses Haus lieben!”

Ich versuchte dich zu beruhigen, streichelte dir eine Weile sanft über den Kopf, bis du einverstanden warst.

Auch während der Fahrt musste ich dich immer wieder beruhigen, was nicht einfach war, denn du hast immer wieder gesagt, du hättest ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Aber ich gab nicht auf und erklärte dir, dass du womöglich nur leichte Magenschmerzen hattest. Du hast dich beruhigt und trotz deiner Angst, hast du immerzu gelächelt und ich war glücklich.

Von Weitem konnten wir das Meer sehen und deine Ungeduld stieg. Ich fand das richtig süß.

Kurz vor einer Kurve blickten wir direkt aufs Meer, denn dessen Wellen schlugen gegen die Klippen. Ich wollte gerade etwas dazu sagen, als ein anderes Auto uns entgegenkam. Auf unserer Spur.

Ich erschrak fürchterlich, doch es gab keinen Ausweg mehr. Das Auto rammte uns mit voller Wucht. Alles ging so schnell. Wir beide wurden aus dem Wagen geschleudert. Du Richtung Klippen, ich Richtung Straße. Noch heute kann ich mir nicht erklären, wieso sich zeitgleich unsere Gurte lösten.

Wäre das nicht passiert, hättest du überlebt? Wären wir beide schwer verwundet ins Krankenhaus gefahren worden, anstatt nur ich alleine? Wäre es nicht Freitag der Dreizehnte gewesen, wäre dieses Unglück nie passiert?

Warum nur in aller Welt musstest du mich verlassen? Mit was hatte ich diesen Verlust verdient?

Diesen Tag verfluche ich. Und nun stehe ich hier. An der Stelle, wo sich der Unfall ereignet hat. Ich warte. Warte darauf, dass ich dich bald wiedersehen kann.

All diese Erinnerungen an uns.

Sie hallen in meinem Kopf wider. Immer und immer und immer wieder.

Ich kann das Licht nicht entzünden. Es ist einfacher die Dunkelheit zu beschimpfen.

Und deshalb:

Vergib mir, mein Schmetterling.

 

 




Envoyé: 21:59 Thu, 22 February 2018 par: Hamen Vicky