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Hoffmann Liz

Stumme Worte, lautes Schreiben

 

Das Gefühl, nichts ausrichten zu können ergreift mich. 

Ich bleibe still und sehe um mich; sehe alles und nichts.

»Mach den Mund auf. Sei nicht so schüchtern, so verklemmt«, sagen sie mir.

So einfach ist das nicht. Ich bin gefangen in meinem eigenen Kopf.

Verschlossen, ruhig, vielleicht sogar unauffällig. Ein Außenseiter. Oder doch nicht; immerhin habe ich viele Freunde. 

Gute Freunde. 

Keine Likes auf den sozialen Plattformen, dafür Menschen die ich um zwei Uhr Morgens anrufen kann und die abheben. Die Art von Menschen, denen es egal ist, ob sie wegen mir verschlafen und zu spät zur Schule kommen, ob ich zehn Kilo Make-up oder das selbe Schlabbershirt wie eigentlich immer trage. Menschen die mich lieben.

»Du kannst dich glücklich schätzen«, sagen sie mir.

Trotzdem bin ich traurig.

Depressiv.

Bi-polar.

Psychiotisch.

Sozialphobisch.

Von Angststörungen und Posttraumatischer Belastungsstörung zerfressen. 

Vielleicht etwas ganz anderes und nichts von alledem.

Ich sehe mich im Spiegel verzerrt. Gebrochen.

»Du bist kaputt. Und hässlich noch dazu«, sagen sie mir.

Ich schäme mich, es zuzugeben. Ich schäme mich, ich zu sein.

»Scheiß Lesbe; glaubst ein Mann zu sein. Scheiß Schwuchtel bist doch nur eine Frau. Etwas wie dich, gibt es nicht; sollte es nicht geben«, sagen sie mir.

Hilfe gibt es keine. Nicht einmal von mir selbst, denn ich mag mich nicht. 

Ich lache. Ja, das kann ich am Besten. 

Weinen tue ich alleine. Zumindest das ist keine Gruppenaktivität. 

Ich fühle wie die Luft knapper, der Sims kleiner, die Schlucht größer wird.

Dann sehe ich Licht. Es ist nicht der Zug am Ende des Tunnels. 

Es bist du. 

Das kleine Lächeln auf der Straße, die Paar Euro an den Bettler, die aufmunternden Worte in tiefster Nacht.

Das alles seid ihr, die Menschen um mich und ich selbst. 

Das große Wir und kleine ich, das unzertrennlich und doch alleine ist.

Ich habe mich oft gefragt, wieso wir so besessen davon sind über die große Liebe und wahre Freundschaft zu schreiben und dachte meine Antwort gefunden zu haben. 

Wir sind besessen von großer Liebe und wahrer Freundschaft, weil diese Dinge nur in unserer Fantasie existieren. Sie spiegeln unsere tiefsten und unschuldigsten Wünsche. Wir verzehren uns nach Liebe und Intimität, in allen Formen und Farben, doch in einer Welt in der unsere Eltern sich scheiden lassen und unsere Freunde uns verlassen, ist kein Platz dafür. Der Spiegel einer Welt, die wir als Kinder in freudiger Erwartung endlich entdecken wollten, ist zersplittert. Die Scherben passen nicht zusammen und wir sind unfähig den Kleber zu finden. Es gibt keinen Platz für unsere Wünsche ausserhalb unserer Träume.

Doch vielleicht. 

Und ich bete, dass dieses Vielleicht sich irgendwann in ein: so ist es! verwandeln wird. Vielleicht finden wir den Kleber, wenn wir nur danach suchen. Jedes Lächeln, jedes offene Ohr, jedes Fünkchen Verständnis kann zu Kleber werden und eine lang vergessene Welt der Gefühle, die uns nicht niederringen wollen, wiedererwecken. 

Wir können mehr sein, als die Worte die uns verletzen. 

Wir sind mehr, als unser zerbrochenes Spiegelbild. 

Jeder von uns ist eine Geschichte. 

Und jede Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. 


 




Envoyé: 09:22 Tue, 11 February 2020 par: Hoffmann Liz