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Kraus Lena

Der Campingurlaub



Abenteuer in den Sommerferien

Der Campingurlaub

„Sabine!“, rief mein Vater durch das ganze, riesige Haus. Meine Mutter tauchte mit einem Turban um den Kopf geschlungen vor ihm auf und setzte sich auf das purpurviolette Sofa in unserem Wohnzimmer. „Tobias, nun schrei doch nicht so. Was ist denn?“ Vati zog mich am Arm und stürmte mit mir zu meiner Mutter. Er drückte mich unsanft aufs Sofa und wedelte mit einem bunten Papierfetzen herum, mit dem er gerade von der Arbeit heimgekommen ist. „Dieses Wochenende werden wir nicht hier herumsitzen und uns vor der Flimmerkiste mit Süßigkeiten vollstopfen“, verkündete er mit vor Aufregung bebender Stimme. „Dieses Wochenende fahren wir nämlich zum Camping!“ Vati hielt uns das Papier vors Gesicht und ich erkannte, dass es eine Karte von Deutschland war. Ein Stückchen Land neben der Mosel hatte er mit einem knallroten Punkt markiert. „Wir fahren an die Mosel und campen dort?“, kombinierte Mutti blitzschnell und ich stöhnte innerlich auf. „Ganz genau!“, triumphierte Vati und sah sich Beifall heischend um. Zu meinem Elend schien Mutti seine grauenhafte Idee gut zu finden. „Es wäre eine kreative Abwechslung“, meinte sie nachdenklich. „Wir könnten dort grillen und angeln und wandern gehen.“ Zumindest grillen klang nicht allzu anstrengend und weil ich sowieso keine Wahl hatte, versuchte ich mich mit der Idee anzufreunden.

Am Samstagmorgen steigen wir in unser rotes Familienauto und ich fühle mich, als würden wir wochenlang verreisen. Ich stecke mir die blassrosa Kopfhörer in die Ohren, blende alle anderen Geräusche aus und drücke auf Play.

Als wir nach einer kurzen Reise an einem Campingplatz nur wenige Kilometer von Trier entfernt ankommen, blicke ich zum ersten Mal auf und sehe einen tollen blauen Fluss vor mir. Mein Gefühl sagt mir, dass diese Reise doch ganz schön spaßig werden könnte!

„Ich möchte Kanu fahren, bevor wir die Zelte aufrichten!“, pfeift mein Vater fröhlich und hält meine Mutter vom Auspacken und Aufrichten ab. Sie sieht ihn mit großen Augen unsicher an. Sie ist nicht die geborene Wasserratte, im Gegensatz zu mir und Vati. „Komm schon, das wird lustig!“, drängt Vati und Mutti willigt schließlich ein.

Hochmotiviert stolziert Vati zu einem Anlegesteg, bei dem ein grimmiger, faltiger Mann steht und Kanus verleiht. „Wunderschönen Tag!“, grüßt Vati ihn gutgelaunt. „Zehn Euro die Stunde“, brummt der Mann augenblicklich und meine Mutter wirft ihm einen scharfen Blick zu. Der Verkäufer hüstelt verlegen. „Rettungswesten sind gratis“, ergänzt er etwas höflicher. Vati nickt aufgeregt und gibt ihm zehn Euro. „Sucht euch ein Kanu aus“, grummelt der Mann noch, dann sitzen wir auch schon in grellorangen Rettungswesten in einem schmalen, grünen Kanu und schwanken bedrohlich. Mein Vater sitzt in der Mitte und verlangt, dass alleine er paddelt und sonst niemand. Schlechte Idee!, denke ich und schieße eine stumme Bitte hoch. Bitte, ich brauche echt keine Katastrophen!

Ich verdrehe meine Augen und hoffe, dass ich ganz vorne nicht allzu nass werde. Leider kenne ich den „Fahrstil“ meines Vaters auf dem Wasser.

Zu meiner eigenen Überraschung, läuft alles am Anfang perfekt. Meine Mutter summt leise ein altes Lied von den Beach Boys, mein Vater paddelt unerschütterlich vor sich hin und ich entspanne mich ein wenig. „Ein Kaninchen!“, flüstert plötzlich Vati und deutet nach rechts in den hellen Wald. Mutti und ich schauen sofort dorthin und ich erblicke ein flauschiges, dunkelbraunes Kaninchen am rechten Ufer. Es hoppelt ausgelassen, bis eine krähende Drossel es erschreckt und verscheucht. Ich schließe lächelnd meine Augen und döse leicht ein.

Plötzlich schrecke ich mit weit geöffneten Augen auf. Die sanften Wellen werden wilder und mein Vater paddelt nur noch stückchenweise und unregelmäßig. „Tobias! Pass auf! Du fährst unsicher!“, warnt ihn Mutti, doch Vati macht unverändert weiter. Plötzlich schwappt ein Schwall eiskaltes Wasser auf mich und mir entfährt ein erschrockenes Keuchen. Ich bibbere vor mich hin und mein Vater macht eine Kurve, damit wir zurückfahren können. Doch er dreht zu scharf, das Boot schwankt und kippt um. Wir alle drei fallen ins Wasser und ich kneife verzweifelt meine Augen zusammen. Die Strömung ist nicht zu stark, ich könnte es vielleicht schaffen, aber ich schwimme unter einem Kanu und komme nicht frei. Im letzten Moment, als mir hilflos der Atem ausgeht und ich mich meinem grausamen Schicksal fügen will, schlingt sich ein rettender Arm um mich und zieht mich an die frische Luft. Ich schnappe nach Luft und meine Lungen brennen fürchterlich. Muttis Augen sind mit Angsttränen gefüllt und mein Retter namens Vati lässt mich erst los, als ich wieder beruhigt bin und ins Kanu klettern kann. „Danke“, krächze ich und wir schwimmen eilig mit dem Kanu zum Vermieter und dann rennen wir zum Campingplatz.

Jetzt hocke ich hier in einem winzigen, blauen Zelt und zittere vor mich hin.

Meine Eltern haben ihr Zelt ungefähr zwei Meter von mir entfernt aufgeschlagen und ehrlich gesagt wünsche ich mir, sie wären direkt neben mir, denn es schüttet und donnert wie verrückt. Plötzlich schlägt ein Blitz ein und erhellt die Dunkelheit in meinem bebendem Zelt. Ich starre auf die Tür und mir bleibt fast das Herz stehen: ein Schatten schleicht vor meinem Zelt herum! Ist es ein wilder Braunbär, der mich gleich brutal in Fetzen reißen wird? Oder doch eher ein fieser Dieb, der mich ausrauben möchte?

Bevor ich mich noch mehr verängstigen kann, schnuppert eine pechschwarze, feuchte Nase durch den Reißverschluss. „Hilfe!“, piepse ich panisch und rutsche in meinem Zelt nach hinten. Das Wesen schiebt seine nasse Schnauze hinein und knuspert an meinen leckeren Schokokeksen, die am Ende meines roten Schlafsacks liegen. Ich schlucke und wage mich ängstlich bis zum Reißverschluss vor. Dann ziehe ich ihn todesmutig auf und werfe einen schnellen Blick nach draußen. Ein regentropfender, süßer Labradorwelpe steht vor meinem Zelt und sieht mich unschuldig an. „Oh!“ Ein verzücktes Quietschen entfährt mir und der Welpe zuckt zusammen. Bestimmt hatten seine Besitzer während des Urlaubs genug von ihm und haben das Tier alleine auf dem Campingplatz zurückgelassen. Sauerei! Ich hole ihn zu mir ins Zelt und er schüttelt sein triefendes Fell aus. Alles wird nass, aber der Hund ist so zuckersüß, dass ich ihm nicht böse sein kann. Ich kuschle ihn in eine warme Kuscheldecke und taufe ihn grinsend auf den Namen „Blitz“. Taufwasser haben wir ja genug!
 




Envoyé: 10:07 Tue, 13 February 2018 par: Kraus Lena