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Mahr Anouk

Nur irgendeine Geschichte

 

Die einen sagen, das Leben ist hart. Die anderen sagen, das Leben ist wundervoll. Oder Kompliziert. Spontan. Voller Überraschungen.

Manche denken über das Leben nach. Manche tun es nicht. Vielleicht tut es jeder einmal in seinem Leben? Ganz sicher? Ja, wahrscheinlich. Wahrscheinlich ist dies unumgänglich.

Und wenn wir schon dabei sind, was ist es eigentlich? Das Leben. Es klingt wie ein Etwas, etwas ganz Großes, Bedeutendes. Und zugleich ist es einfach nur ein Begriff, aus dem Kontext gerissen, zusammenhanglos. Das Leben.

Leben. Wer lebt? Wir alle leben. Wir leben zwischen den Trümmern unserer Existenz. Leben ist unbedeutend, wie ein einfacher Strich. Da fängt es an. Und da endet es.

Leben ist etwas Bedeutendes, wir lachen, wir weinen, wir verzeihen. Wir sind. Jeder denkt anders darüber.

In Wirklichkeit, ganz objektiv betrachtet, ist es sinnlos. Für alles gibt es ein Ende. Alles hat auch einen Anfang, ja. Aber tut es nicht umso mehr weh? Ständig das Gefühl zu haben, sich über den Anfang freuen zu müssen, weil man weiß, dass das Ende naht, da draußen irgendwo? Spätestens mit dem Tod endet es. Und dann ist da nichts mehr. Leere.

Ja, Leere ist auch etwas. Aber dann doch nur ein hohles Wort im Wörterbuch. Ein Wort, das die Abwesenheit von dem großen Etwas beschreibt. Nichts. Es fehlt einfach. Es hat keine Bedeutung.

Unser Planet wird irgendwann erlöschen, falls Planeten überhaupt erlöschen können. Sagen wir sterben. Auch unser Planet stirbt, langsam, aber er stirbt. Und wir sterben mit ihm.

Sollen wir einfach mitmachen? Bei diesem Spiel, das sie „Leben“ nennen? Ist das Geheimnis, einfach nicht darüber nachzudenken? Aber warum sind wir dann zu denkenden Wesen geworden, für die es unumgänglich ist, mindestens einmal über das Leben nachzudenken? Ist das alles ein großer Witz?

Der Gedanke zieht sich endlos, immer weiter, immer wieder zweigen Gedankenwege von ihm ab. Man könnte pausenlos darüber sinnieren, beim Leben anfangen und bei leeren Handy-Akkus enden. Bei leeren Handy-Akkus weiterfahren und auf die Entstehung unserer Welt kommen.

Pure Ironie, oder? Da bekanntlich nichts unendlich ist. Andererseits: Die Zahl Pi soll es ja sein. Aber ganz im Ernst: Auch sie endet, auch sie ist vorbei. Für manche bei 3,14, andere haben nach Billionen von Stellen aufgehört zu rechnen. Nur, um die Sache schließlich wieder hervorzukramen und ums Verrecken nicht aufhören zu wollen, sinnlos immer weiterzusuchen, ohne Ende in Sicht, ohne Ende in Sicht.

Und es geht immer weiter, immer weiter, tausend verschiedene Theorien.

Was soll ich nur tun?

Würde jemand meine Gedankengänge verstehen? Würde jemand anderes, genau wie ich, verzweifelt über das Ende nachdenken? Auch ich werde enden, einfach vorbeistreichen, wie es alles tut. Meine Gedankengänge werden sich in die Weiten der Existenz verflüchtigen, sich verdünnen, verlöschen, bis nur mehr ein Hauch davon übrig ist. Der Hauch wird sich mit dem ganzen Rest vermischen, und dann wird es einen zweiten Urknall werden, und das Universum ist wieder ein Sandkorn.

Nichts Weiteres als ein Sandkorn.

„Hallo? Was machst du denn da drin?“

Ich wäre so gerne ein namenloses Nichts geblieben, dessen Stimme einsam aus der Dunkelheit des Unwissens spricht, aber mir sollte es nicht gewährt sein. Ich bin ein lebender Mensch wie alle auch, und ich rege mich über das Universum auf, wie es sicher schon viele vor mir taten.

Bedeutungslos.

„Hallo? Was machst du denn da drin?“

Nichts. Es tut weh. Die Gewissheit tut weh, nimmt alles weg. Naturwissenschaften tun weh. Wenn man alles, wie es ist, dargelegt bekommt, fühlt man sich wie ausgelaugt. Leer.

Das hohle Wort im Wörterbuch.

Ich bin ein hohles Wort im Wörterbuch.

„Hallo? Was machst du denn da drin?“

Ich wollte so gerne eine Bedeutung in allem sehen, ja, Gewissheit haben, dass es so ist!

„Hallo? Was machst du denn da drin?“

„Ich bin immer noch ich! Das kann mir keiner wegnehmen! Ich weiß, was ich meine, und ihr tut es nicht! Ich bin alleine, aber ich bin ich, nur ich, für immer nur ich.“

Vielleicht gibt es doch etwas, das unendlich ist. Diese eine Sache.

In meiner Hand liegt ein Messer. Ich töte die Wand. Ich töte die Tür. Ich reiße sie auf, aber sie ist ja schon tot, tot, und ich töte die Stimme hinter der Tür. Ja, ich weiß, was ich sagen will, niemand außer mir weiß das. Niemand außer mir bemerkt die Leere unseres Daseins.

Ich töte meinen Körper.

Ich bin alleine.

Ich bin das Universum.

Ich bin ein hohles Wort im Wörterbuch.

Ich bin ein Hauch.

Ich werde ein Sandkorn sein.

Und dies hier wird für immer nur irgendeine Geschichte sein, bis das Sandkorn sie mitnimmt.
 




Envoyé: 18:38 Fri, 31 March 2017 par: Mahr Anouk