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Schmitz Marion

Die Lichtung




Ich schaute zu meinen nackten Füßen. Mittlerweile sahen sie, genauso wie der Rest meines Körpers, so abgemagert aus, als könnten sie beim Gehen zerbrechen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie rot und Wund meine Fußsohlen aussehen mussten, weil ich Tag für Tag auf harte Äste und spitze Steine trat. Ich hätte schwören können, dass es für einen Moment nach Blut gerochen hatte, aber das war mir egal. Eine Fußinfektion wäre noch mein geringste Sorge.


Als ich merkte, dass es dunkler wurde, schwenkte ich meinen Kopf nach vorne. Meiner Unachtsamkeit wegen, hatte ich den Sonnenuntergang um eine Haaresbreite verpasst. Die Wolken wirkten so rot wie Blut, was mir einen kleinen Schrecken versetzte. Das störte mich aber nicht, es war mir genauso egal, wie meine Füße es mir waren. Die Sonne würde Morgen wieder auf- und untergehen. Diese Erkenntnis verschaffte mir immer wieder aufs Neue Unbehagen. 


Ich würde es nicht mehr ins nächste Dorf schaffen, bevor es stockdunkel wurde. Es wurde also Zeit einen Platz zum Schlafen zu finden. Ich war auf einem Waldweg, links und rechts von mir waren weit und breit nur Bäume zu sehen, die bis in den Himmel reichten. Der Weg führte mich weiter in die Richtung, in der vohin die Sonne verschwunden war, und mündete in einer Lichtung. Ich vorschnelltet meinen Gang.


So langsam musste ich mich anstrengen, um klar zu sehen. Nicht nur die Dunkelheit, auch meine Müdigkeit machte mir zu schaffen. Erst wenige Schritte vor der Lichtung, erkannte ich worauf ich zulief und ich wollte sofort umkehren, doch meine Beine gehorchten mir nicht mehr. Ich rannte weiterhin auf den Friedhof zu. Mein Puls war augenblicklich auf Höchsttempo. Erinnerungen schossen mir ins Gedächnis, Erinnerungen, von denen ich dachte sie schon längst vergraben zu haben. Es fiel mir schwer meine Tränen zurückzuhalten und in meinem Hals bildete sich ein Knoten. Ich wollte mich nicht erinnern, ich wollte mich nicht wieder so einsam und traurig fühlen, ich wollte nichts mehr fühlen. Trotzdem kam alles wieder hoch, jede Erinnerung, jedes Gefühl. Ich roch die nasse Erde und die Gänseblümchen, die ich gepflückt hatte. Ich hörte das respektlose Getuschel zweier Frauen mittleren Alters. Ich sah sie. Es war als wäre ich wieder da. Egal wie oft ich zu mir sagte, dass es mir gleich sei, was passiert war, ich wusste dass das nicht stimmte. Egal wie oft ich zu mir sagte, ich müsse loslassen, ich konnte nicht. 


Schweren Herzens machte mich auf die Suche nach einem geeigneten Grabstein, der mir viel Windschutz bot. Hinter mir im Gebüsch ertönte ein Rascheln. Mir war bewusst, dass es wahrscheinlich nur ein Tier war, aber es schlich sich ein ungutes Gefühl ein, das mir den Bauch verkrampfen ließ. Ruckartig drehte ich mich um, konnte aber nichts bedrohendes entdecken. Also ging ich weiter, schaute von einem Grab zum anderen. Mir fiel auf, dass eines der Gräber, welches ein paar Meter weiter lag, noch offen war. Ich schaute mich noch einmal um und schritt vorsichtig dorthin. Ich zögerte bevor ich zum Rand trat, aber was konnte den schon passieren.


Das Grab war mindestens so tief wie ein ausgewachsener Mann hoch war. Bei genauerer Betrachtung des Grabs konnte ich ein schwaches Leuchten sehen, das selbst am späten Abend kaum zu erkennen war. Langsam hockte ich mich hin, um besser zu erkennten was da lag. Es erinnerte mich an einen Stein und hätte in eine Hand gepasst, aber Steine leuchteten nicht. Ich streckte meinen Arm aus. Als ich merkte, dass ich zitterte, zog ich ihn schnell wieder zurück. Knack! Das Geräusch eines zerbrechenden Stockes ertönte hinter mir. Bevor ich die Zeit hatte zu verstechen, was da geschah, spürte ich einen festen Schlag am Nacken. Mein ganzer Körper war betäubt und ich fiel leblos ins Grab. Mein Kopf landete genau auf dem Stein. Zuerst tat mein gesamter Körper höllisch weh, aber dann ließ der Schmerz nach und ich landete in einen Zustand, der zwischen der Traumwelt und der Realität war. Mir war bewusst, dass die unbekannte Person damit beschäftigt war, mich zu vergraben, aber ich wusste nicht wie ich mir helfen konnte. Mein Körper gehorchte mir nicht.


Als auch mein Gesicht mir einer Schicht Erde bedeckt wurde, verlor ich das Bewusstsein. Besteht die Möglichkeit, dass ich meinen aller letzten Sonnenuntergang verpasst hatte?




Envoyé: 22:59 Fri, 3 April 2015 par: Schmitz Marion