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Bertemes Lara

Das schwarze Loch

 

Feierabend, die Bauarbeiter verlassen die Baustelle. Endlich, alles steht still. Das einzige was noch zwischen mir und der Baustelle steht ist das hohe eiserne Gitter. Glühend rote Schilder verbieten das Betreten der Baustelle. Ich lasse meinen Blick ein paar Sekunden auf dem Wort VERBOTEN weilen. Ich grinse und verspüre ein komisches Gefühl im Bauch. Ich versuche es zu ignorieren und schaue mich stattdessen um. Keine Seele weit und breit. Die Straße ist leer, kein Auto weit und breit. Nur in der Ferne bellt ein Hund. Ich schaue mir das Gitter noch einmal genau an. Ich nähere mich ihm und fasse es an. Es ist ganz warm von der Sonne, die den ganzen Tag darauf geschienen hat. Das Gittermuster erinnert mich an eine größere Version vom Schachbrett meines Bruders. Die dicken Drähte sind gerade noch weit genug auseinander um meine Hand ganz durchzustecken. Ich schaue am Gitter hoch. Gute zwei, drei Meter hoch. Plötzlich erinnere ich mich. Ich hatte doch eine Zange aus der Werkstatt meines Vaters ausgeliehen. Ich nehme meinen Rucksack ab und nehme eine riesige Zange heraus. Zuerst zögere ich. Nein, jetzt ziehe ich es durch, ich muss es machen. Mit dem eiskalten Griff in der Hand trenne ich Draht für Draht bis das Loch groß genug ist. Ich nehme meinen Rucksack und schiebe ihn zuerst hindurch. Dann lege ich mich auf den Bauch und krieche regelrecht mit der Nase über dem Boden bis auf die andere Seite. Endlich. Ich stehe auf, klopfe den Staub von den Kleidern ab. Nach einigen Sekunden Bedenkzeit, entschließe ich mich dazu, meinen Plan fortzusetzen. Entschlossen nehme ich die lila Graffitiflasche aus dem Rucksack gehe zu einem großen Bagger und fange an zu sprayen. Kein Zurück mehr.

Plötzlich höre ich Schritte. Wie ein scheues Reh renne ich hinter den großen Bagger. Dort verkrieche ich mich bis ich das Gitter rascheln höre, dann Schritte. Der Sand knirscht unter den Schuhen und jemand kommt immer näher. Das Licht der scheidenden Sonne verblendet mich und lässt mich nur erkennen, dass es ein Mädchen ist. Sie geht in Richtung des Krans und bleibt abrupt einige Meter vor ihm stehe. Sie steht einfach nur da, eine schlanke langhaarige geheimnisvolle Gestalt. Langsam aber sicher geht sie noch näher an den Kran heran. Mir wird ganz mulmig. Sie wendet sich zur Leiter, die zum Kran hinaufführt. Sprosse für Sprosse, steigt sie immer höher hinauf. Die Härchen auf meinen Armen richten sich auf und ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Ich bin wie eingefroren. Nicht mehr ganz bei Sinnen, stehe ich auf. Ich bekomme ganz schwitzige Hände und folge dem Mädchen hinterher. Ich gehe auf den Kran zu. Im Licht der fast untergangenen Sonne kommt mir der Kran wie ein riesiges Monster vor, das drohend auf Opfer lauert. Mir ist nie noch nie in die Sinne gekommen mich ihm zu stellen. Ich nehme die erste Leitersprosse bei Hand und arbeite mich langsam herauf. Das Mädchen sehe ich nicht mehr. Sie ist weit über mir verschwunden. Ich gehe Sprosse für Sprosse und wage nicht runterzuschauen. Plötzlich merke ich, dass über mir keine Sprosse mehr ist. Ende.

Ich stehe verdutzt und schwitzend im Dunkeln auf einem Kran. Der Himmel ist sternenklar und es ist Vollmond. Ich schaue nach oben zu dem klaren Nachthimmel. Der weiße Mond gibt mir Kraft. Ich schaue mich nach dem Mädchen um. Ich lasse meinen Blick um mich schweifen. Zitternd sehe ich sie. Mir wird ganz kalt. Schockiert, sehe ich sie. Ich sehe sie, sie ist da. Sie sitzt mit schwingenden Beinen am Ende des Krans. Sie sitz da als säße sie auf einer hölzernen Bank im Park. Sie sitzt aber nicht im Park, nicht unter einem Baum oder auf dem Gras. Sie sitzt auf einem eisernen Kran, unter dem Himmel und über dem Boden zwischen Leben und Tot.  Sie sitzt nicht weit weg von mir, doch so erscheint es mir.

Ein Gefühl der Unwirklichkeit überkommt mich. Wie ein kleines Kind, unbewusst der Gefahr krieche ich zu dem Mädchen herüber. Ein schwarzes Loch formt sich in mir, dass alles aufsaugt, alle meine Emotionen, Träume, Erinnerungen und Hoffnungen. Alles das bleibt, ist das das Jetzt. Es ist kalt und leer.

Auf einmal dreht sie sich vor Schreck um. Ich zucke zusammen, was mich beinahe meine Bank kostet. Ich spüre ihren erschrockenen Blick. Trotzdem nähere ich mich ihr. Unbewusst. Dann setzte ich mich neben sie auf die Bank. Denn ich bin ein Kind, ein naives Kind und das ist die Bank, die friedlich im Park steht. Das Mädchen ist eine freundliche Unbekannte und das Leben ist toll. Ich schaue sie an. Ihr blondes Haar, ihre klaren Augen, alles ist leer. Das schwarze Loch ist auch in ihr.

Das schwarze Loch nimmt alles was war und hinterlässt das Kalte und Leere. Wir waren nie hier, die Bank war immer leer, die Unbekannte ist weg und das grüne Gras leuchtet schimmernd rot. das bleibt unter dir und mir, Mond, kannst du Geheimnisse bewahren, ja?
 



Envoyé: 23:02 Thu, 30 March 2017 par: Bertemes Lara