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Talarico, Gina

Der Wurm



„Ich muss dir etwas sagen", wisperte sie leise, „Ich...bin schwanger." Die Worte hingen in der kalten Luft des Zimmers. Sie breiteten sich aus wie Nebelschwaden, türmten sich auf, purzelten herum und schlugen über ihrem Kopf zusammen. Sie versetzten ihr Tritte und Kratzer, zerfurchten ihr Gesicht und füllten den Raum so drückend, als würde sie sich in einer kleinen, engen Gefängniszelle befinden. Sie mischten sich mit dem Dampf, der in dem kleinen Badezimmer herumwaberte und zersetzten ihn in Säure, die ihre Haut zum Schmelzen zwang. Alles tat mit einem Mal so höllisch weh und die Worte, die in der Luft herumstrampelten machten alles real. Sie hatte das Gefühl, dass mit dieser Aussprache, die sie gerade getätigt hatte, das Grauen erst zur Wirklichkeit geworden war. Bevor sie es ausgesprochen hatte, hatte sich ihr Gehirn gegen alle Vernunft einzureden versucht, dass das alles nicht wahr ist. Dass es nicht passierte, dass sie nicht hier stand und sich darüber den Kopf zerbrechen musste. 
Sie schluckte schwer und starrte ihr Spiegelbild an, das zwischen all dem Dampf kaum zu erkennen war. Doch es könnte auch an ihren Tränen liegen, die sich wieder in ihren braunen Augen bildeten. Ihre Hand wanderte wie von einem unsichtbaren Macht oder einem Magneten angezogen zu ihrem Bauch. Es konnte einfach nicht stimmen. Ein letztes verzweifeltes Aufbäumen ihrer Wunschkraft. Das war ein Albtraum. Sicher würde sie gleich aufwachen und alles wäre wie vorher. Wie noch vor wenigen Stunden. Normal. Ohne Desaster. 
Es durfte einfach nicht wahr sein. Doch sie hielt das Ergebnis in der blassen Hand. Das Ergebnis des fünfzehnten Schwangerschaftstest. Sie war fünfzehn Mal schwanger. Es war nicht mehr zu leugnen und doch versuchte sie es, während ihr die Worte wie Gift in der Kehle brannten und sie zum Weinen zwang. Sie holte zitternd Luft, versuchte irgendwie ihre Lungen mit rettendem Sauerstoff zu füllen, doch es funktionierte nicht. Sie drohte zu ersticken. An Angst, an Panik, an allem, was dieses Ergebnis giftiges in ihrem Körper auslöste. 
Sie musste etwas tun, musste etwas unternehmen. Sie musste zum Arzt und es weg machen lassen. Weg machen. Ihre Finger malten bei diesem Gedanken kreise um ihren Bauch. Ungefähr dort wo dieser Wurm jetzt saß, der drohte ihr Leben zu zerstören oder einfach gerade ihre Welt in Trümmern setzte. Dieser Funke von Leben, den sie gerade erschuf. Dieser Funke von Leben, der ganz und gar auf ihre Entscheidungen angewiesen war. Dieses Ding, das weder einen Namen noch ein Geschlecht hatte. Diese Kaulquappe, die wohl einmal ein Mensch werden würde. Würde sie es töten können? Dieses ES? 
ES. Ein seltsamer Name für neues Leben. Aber wie sollte sie es sonst nennen? Wenn sie diesem Etwas einen Namen geben würde, würde das bedeuten eine Bindung dazu aufzubauen. Das würde alles noch viel schlimmer machen. Das würde alles noch viel mehr zerstören. Wütend begann sie die Schwangerschaftstests zusammen zu sammeln. Es war grauenvoll. Sie war alleine, sie war ohne Einkommen, sie war jung, sie war nicht bereit für sowas. Sie war ein Kind. Ein KIND! Kinder dürften nicht schwanger werden. Oder vielleicht wünschte sie sich auch einfach, dass sie noch ein Kind war. Sie wünschte sich in dem Moment zurück in den Sandkasten, wo sie mit Eimer und Schaufel Sandkuchen gebacken und ihren besten Freund gezwungen hatte sie zu essen. Wo sie sich gegenseitig mit Schlamm beschmissen hatten, Fangen auf dem Schulhof spielten. 
Fangen spielten. Fangen. Das winzige kleine Wort löste in ihrem Kopf eine Flutwelle von Erinnerungen aus. Eine klopfte am aller stärksten von Allen an ihre Schädelwand. Schule. Sie musste noch zu Schule. Sie hatte noch keinen Abschluss, keine Ausbildung. Nichts, mit dem sie es je schaffen würde ein Kind aufzuziehen. Die Tüte der Apotheke füllte sich mit Schwangerschaftstests. Sie knotete sie zu und schlich mit dem Müll in ihr Zimmer. Die Dielen knarzten unter ihren nackten Füßen. Niemand war im Haus. Ihre Mutter würde erst später vom Einkaufen zurückkommen. Sie war am Morgen zu Hause geblieben, weil es ihr nicht gut ging. Nicht nur, weil sie schon seit mindestens drei Wochen überfällig war, sondern auch, weil sie jeden Morgen über dem Klo hing und sich die Seele aus dem Körper kotzte. 
Ihr Zimmer empfing sie mit hellen Farben und frischer Luft, die sie kurz würgen ließ. Ihr Kopf schmerzte vom vielen Weinen und die Tränen verstopften ihr noch immer die Atemwege. Die Kuscheltiere auf ihrem Bett schienen sie anklagend anzustarren. Sie nahm jedes einzelne und pfefferte es gegen die Wand. Kuscheltiere waren etwas für Kinder. Etwas für solche Dinge, die ihr gerade im Bauch herumschwammen. Wieder rumorte ihr Magen und sie bemühte sich nicht gleich wieder auf die Toilette zu hetzen. Ihr Glück war es gewesen, dass die nächste Apotheke zwei Straßen weiter war. So hatte sie die Chance gehabt sich einen Schwangerschaftstest nach dem anderen zu besorgen ohne dass ihre Eltern etwas davon mitbekommen hätten. Doch nun war selbst die nahe Apotheke nichts mehr, was sie aufmunterte. Wieder kullerten Tränen über ihre Wangen, als sie ihre Stofftiere sah, die schlaff und leblos in den Ecken der Zimmer lagen. Sie schienen alle eine traurige Miene zu ziehen, als wüssten sie genau, was sie plagte und als wären sie es leid für all die schrecklichen Wutausbrüche den Kopf her zu halten. 
Sie dachte in diesem Moment an Toy Story und fragte sich, was ihre Spielzeuge wohl von ihr hielten. Sie war für ihre Stofftiere sicher keine freundliche Besitzerin. Nicht im Moment. Es tat ihr augenblicklich Lied, wie sie ihre Stofftiere behandelt hatte, doch sie hatte nicht die Kraft sie aufzusammeln. Schlapp, müde und völlig verzweifelt kauerte sie sich auf ihrem Bett zusammen und gab sich ihrem Elend hin. Sie hasste dieses Ding in ihrem Körper, dass ihr so viel Kummer bereitete. Die Wut wuchs an. Wild und unbändig wie ein Waldbrand in einem ausgetrocknetem Gebiet. Es fraß sich durch ihre Adern dieses Feuer der Wut und Verzweiflung und der Rauch stieg ihr in die Lunge und ließ sie husten und schreien. Es tat weh, dieses Feuer in ihrem Körper. Es verbrannte sie von Innen, verkohlte ihre Organe und zerstörte ihren Körper, sodass sich ihre Seele in den hintersten Winkel ihrer fleischlichen Hülle zurück zog um von dem Feuer verschont zu bleiben. 
Sie boxte sich vor Wut in den Leib, biss sich auf die Hand und weinte, bis ihr irgendwann auch die Kraft dazu wegblieb. Sie lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Ein Gemälde zierte die Zimmerdecke. Der Nachthimmel. Ihr Vater war Astrologe gewesen und hatte vor ihrer Geburt das Zimmer gestrichen. Er hatte den originalen Sternenhimmel für seine kleine Tochter gezeichnet und kunstvoll an die Decke geworfen. Zwischen all den Farbklecksen dort konnte sie unendliche Liebe und Zuneigung spüren, obwohl ihr Vater nicht mehr da war. Sie konnte die Liebe die an diesem Gemälde hing mit einem Messer abschaben und wie Marmelade auf ein Stück Brot streichen. Es würde nie aufhören süß zu schmecken. Das war wahre Liebe. Ein Ausdruck von Menschen, die sich auf einen Wurm gefreut haben. Ein Ausdruck von Menschen, denen ein ETWAS nicht das Leben zerstörte. Ein Ausdruck von Liebe. Liebe die man einem Menschen schenkte, der noch nicht da war und völlig unfertig auf die Welt gekommen war. Aber sie glaubte nicht, dass sie das schaffen konnte. Sie war wütend auf das ETWAS. Sie liebte es nicht und sie glaubte nicht, dass sie je dazu im Stande sein würde. 
Langsam und schwerfällig stand sie auf, torkelte zu ihrem Schreibtisch und riss ein neues Blatt aus ihrem Block. Ein Kugelschreiber, mit dem sie die letzten Jahre in der Schule ihre Notizen geschrieben hatte, diente ihr dazu „Pro und Contra Baby" auf das Papier zu kritzeln. Zittrig versuchte sie ihre Vernunft zu aktivieren. Die Vernunft, die ihr hoffentlich half, die richtige Entscheidung zu treffen. Doch ihr Kopf blieb leer. Nirgends eine Spur ihrer Vernunft, die ihr bei dieser Liste helfen würde. Ihr vielen nur schlechte Dinge ein, also zerknüllte sie das Papier und schrieb stattdessen: „Was ich einem Kind bieten kann". Sie laß den Satz zehn Mal und fragte sich andauernd, wieso sie sich darüber Gedanken machte. Sie wollte dieses DING nicht. Sie wollte es weg machen lassen. Aber konnte sie es töten? Lebte es nicht schon? Nein es war noch nicht am Leben, sonst dürfte man es ja nicht weg machen. Oder? War sie eine Mörderin, wenn sie es weg machen ließ? Was sollte sie nur tun? Würde sie zu spät kommen? Was musste sie tun, um es weg machen zu lassen? Ihre Gedanken jagten im Kreis, als sie die Türe hörte: „Hallo mein Engel!" Ihre Mutter war zurückgekehrt. Sie hörte die Tüten, die ihre Mutter durch den engen Wohnungsflur zur Küche schleppte. Kurz darauf hörte sie die Schritte ihrer Mutter, die sich ihrer Zimmertüre näherten. Doch anstatt den Kopf zu heben starrte sie weiter auf den Satz „Was ich einem Kind bieten kann" und fragte sich, wie sie mit dem Ding umgehen sollte. Ihre Mutter klopfte leise an die Zimmertüre, ehe sie ihren Kopf hereinstreckte: „Engelchen? Ist alles in Ordnung? Geht es dir besser mein Schatz?" Sie schüttelte den Kopf: „Nein Mama. Ich versuche nur den Stoff in der Schule nicht zu verpassen." Ihre Mutter hörte, dass sie geweint hatte. Doch sie presste nur die Lippen aufeinander. Fragte nicht weiter nach. Während dieser Schweigeminuten schrie es in ihrem Gehirn, dass ihre Mutter sie doch fragen sollte. Bitte frag mich doch, was mit mir los ist!, kreischte es in ihrem Inneren, Bitte frag doch, ob es wegen Tarence ist! Bitte frag, ob ich Liebeskummer habe. Bitte frag, ob ich Probleme habe. Bitte sag, dass ich mit allem immer zu dir kommen kann. Bitte sag mir, dass du mir immer helfen wirst. Bitte sag mir...dass alles wieder gut wird. 
Doch kein Wort kam über die Lippen der beiden Frauen und so verschwand ihre Mutter wieder in der Küche. Sie würde essen machen und sich weiterhin nicht um ihre Tochter sorgen. Sie würde sich sorgen aber nicht offensichtlich. Sie hätte gerne ihrer Mutter alles gesagt, aber da gab es auch ihren Stiefvater. Außerdem, sie hatte Liebeskummer. Schrecklichen Liebeskummer. Wegen Tarance. 
Das DING war von Tarance. Die Hälfte seines Erbguts war von Tarance. Tarance, der noch da gewesen war vor drei Wochen. Tarance mit dem verwegenen Blick, den schönen Locken und der Geduld eines Elefanten. Tarance, der sie als Einziger voll und ganz verstanden hatte. Tarance, dessen Erbe sie im Leib trug. 
Sie würde nicht nur das DING töten sondern damit auch Tarance. Das, was von Tarance noch übrig war. Aber sie konnte kein Kind versorgen. Sie war doch noch nicht einmal volljährig und ihre Eltern wussten nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten. Seit der Sache vor drei Wochen. Seit dem- 
Die Türklingel zerfetzte alle weiteren Gedanken und langsam hob sie den Kopf. Wieder schrillte es und sie lauschte angestrengt. Ihre Mutter ging an die Türe und kurz darauf hörte sie die bekannte Stimme ihres besten Freundes. Armins Schritte, unverkennbar, kamen auf ihre Zimmertüre zu. Er klopfte. Sanft und sachte, als hätte er die Vermutung sie ernsthaft stören zu können. „Komm rein.", sagte sie leise und schaute zur Türe. „Hey du.", sagte er und erstarrte, als er die Türe hinter sich geschlossen hatte, „Oh mein Gott. Was ist denn mit dir los? Geht es dir so schlecht?" Sah sie so furchtbar aus. Sie nickte leicht und deutete ihm, sich zu setzten. Er ließ sich auf das Bett plumpsen. „Sag, was ist mit dir los?", fragte er ohne Umschweife. So wie immer. Armin redete immer so mit ihr und seit Tarance...seit dem Vorfall war er der Einzige, der an sie heran kam. „Wegen Tarance?", fragte er weiter und sie nickte schwach. „auch.", murmelte sie. Er nickte, wartete. Schweigen auf beiden Seiten. Watte, die sich zwischen ihnen bildete, ehe sie die Worte darauf purzeln ließ: „Ich muss dir etwas sagen." Sie wisperte es wie im Bad. Genauso wie im Bad breiteten sich die Worte aus, trafen sanft auf die Watte und taten dennoch so schrecklich weh. „Ich....bin schwanger." 
Es war, als hätte sie gerade eine Bombe gezündet. Sie wartete auf seine Reaktion, machte sich auf ihrem Stuhl kleiner und kleiner. Wartete auf die Explosion. Wie an Silvester, wenn man einen Feuerwerkskörper zündete und darauf wartete, dass er knallte. Wie erleichtert man war, wenn es vorbei war. Armin starrte sie an. Er wurde bleich und sagte nichts. Lange sagte er nichts, ehe er sie zu sich zog und in die Arme schloss. Erst da bemerkte sie, dass sie weinte. „Schon gut, Kleines.", flüsterte er und wiegte sie hin und her unter dem Sternenzelt ihres Vaters, „Schon gut. Es...es ist von Tarance nicht wahr?" Seine Worte umhüllten sie so sanft und weich wie die beste Seide des Orients. Er entführte sie mit seinen Berührungen an einen Ort ohne Vorurteile, ohne Strafen und ohne Schmerzen. Doch das dumpfe Pochen in ihrem Herzen blieb. Sie war verzweifelt und er versuchte ihr zu helfen. Sie nickte leicht. 

 

„Ich habe Angst.", nuschelte sie und zerquetschte Armins Hand, eine Woche nachdem sie herausgefunden hatte, dass sie fünfzehn Mal schwanger war. Er nickte verständnisvoll und lächelte sie aufmunternd an. „Darum bin ich bei dir.", antwortete er ihr und schaute zu ihrer Mutter, die ebenfalls mit ihr im Warteraum saß. Armin und sie hatten es noch am selben Tag verkündet und Armin versprach für sie da zu sein, egal wie sie sich entscheiden würde. Er würde ihr wenn nötig sogar helfen das Baby groß zu ziehen. Obwohl er vor kurzem jedem der es hören wollte oder nicht seine Homosexualität gebeichtet hatte schien er nicht minder stark genug ihr Halt zu geben. Er hatte sein Geheimnis preisgegeben, als sie mit Tarance im Auto gesessen hatten. Es war jetzt beinahe einen Monat her. Sie lächelte ihre Mutter an und Armin, als der Arzt sie aufrief. 
„Sie müssen sich keine Sorgen machen.", fing er an, als sie auf dem Stuhl saß und sie schluckte schwer. „Bitte...sagen Sie du." Der Arzt lächelte sie an und nickte. „In Ordnung. Du hast dir das gut überlegt?", fragte er ernsthaft und sie nickte. „Es wird schwer sein, die ersten Tage danach. Ich hoffe du hast genug Menschen, die dich auffangen.", setzte er hinzu, ehe er seine Instrumente auspackte. Wieder nickte sie und Armin drückte ihre Hand: „Wir schaffen das, Kleines." Sie nickte, biss die Zähne zusammen und ließ es geschehen. 

 

Nach dem Eingriff: 

„Hey Tarance.", sagte sie und schlang den Schaal noch dichter um ihren Hals. Es war Herbst und es war kalt. In der Nacht war der erste Frost aufgetreten und die Straßen waren spiegelglatt. So Glatt wie an dem Tag, an dem Tarance Augen erloschen sind. Sie seufzte tief und kniete vor den Stein, der das Grab ihrer großen Liebe kennzeichnete. „Die Ärzte haben gesagt, dass es schwer werden würde. Weißt du das...mit dem Baby. Es tut mir leid.", sie begann bereits jetzt zu schluchzen, dabei hatte sie noch so Vieles zu sagen. Sie pflückte ein paar verwelkte Blätter von dem Grabstein, in den Tarance Name unter ein Paar Engelsflügel graviert war. Sein Todesdatum stach hervor und schoss Pfeile in ihre Brust. Es tat noch immer so schrecklich weh. „Ich weiß...es...es ist dumm. Ich danke dauernd, ich hätte dich getötet. Noch einmal. Aber...ich konnte nicht. Ich konnte es nicht bekommen.", nun war ihr ihre Stimme fast fremd, so erstickt klang sie. „Ich hoffe du bist mir nicht böse. Ich denke...der kleine Wurm wird es gut haben bei dir. Egal was es geworden wäre. Aber ohne dich hätte ich das nicht geschafft. Armin wäre kein Ersatz obwohl er heldenhaft als Vater aufgetreten ist. Aber...ich könnte ihm das nicht antun. Sie sagten, dass es schwer werden würde, aber es ist noch viel schwerer als sie alle sagten. Ich habe jetzt einen Psychiater. Ich fühle mich grausamer und dümmer als je zuvor. Aber es geht mir besser. Immer wieder. Ich soll aufhören mir die Schuld an deinem Tod zu geben und ich soll aufhören mich wegen des Wurms so fertig zu machen. Sie meinten, ich solle doch mal einen Brief schreiben. An euch beide. Ist das nicht witzig? Einen Brief an euch. Ich schreibe dir jeden Tag, seit du nicht mehr da bist obwohl ich mir gut vorstellen kann, dass du auf einer watteweichen Wolke sitzt und mich beobachtest. Das tust du doch, nicht wahr? Du hast mir immer gerne zugesehen. Bei allem was ich tat. Du würdest mir nicht böse sein und doch habe ich das Bedürfnis mich bei dir zu entschuldigen. Bitte verzeih mir, dass ich dich nicht gerettet habe. Bitte verzeih mir, dass ich auf diese Party bestanden habe. Wäre ich nicht so penetrant gewesen und so betrunken und hätte ich dir nicht ins Lenkradgegriffen, dann...dann wärst du noch da. Dann könnte ich in deinen Armen liegen, dann wärst du mit mir bei diesem Arzt gewesen und den Beratungen und...du hättest mir geholfen. Armin hat das übrigens großartig gemacht. Sein Outing hat ihn stärker gemacht als ich es mir je erträumt hatte. Du fehlst ihm. Du fehlst uns allen. Wir haben uns seit dem Unfall nicht mehr wirklich getroffen. Nur an deiner Trauerfeier und einmal in der Schule. Aber wir können den Anblick der anderen nicht mehr ertragen. Wir können uns selbst nicht mehr ertragen. Es gibt so vieles, was du noch erleben solltest. So vieles, was ich noch mit dir erleben wollte. Ich werde mir nie verzeihen, was passiert ist.", sie stockte und starrte auf den Grabstein, der ihr stumm entgegen starrte. Tarance war fort und obwohl sie hier Zwiesprache mit einem Stein hielt war das nicht aufmunternd. Es war alles andere. Es war niederschmetternd und doch in einer gespenstischen Art befreiend. „H-hier ist der Brief. An dich und den Wurm. Ich werde ihn hier lassen. Ich kenne ihn schon auswendig. Ich...ich hoffe es geht euch gut und dass ich dich irgendwann einmal wieder sehe. Ich liebe dich Tarance White. Ich werde dich nie vergessen." Damit legte sie den Brief neben der einsamen Rose ab, die standhaft dem kommenden Winter trotzte. Sie erhob sich und bemerkte, dass ihre Knie eingeschlafen waren. Ein grausames Gefühl. 

„Fertig?!", rief jemand vom Weg und sie wandte den Blick dem schwarzhaarigen Jungen und seinem blinden Begleiter zu. Armin grinste bis über beide Ohren und schlang den Arm um seinen Freund. Sie nickte. „Ja. Ich glaube...jetzt wird alles besser.", sagte sie, während sie zu den Jungen ging und noch einmal zurück zu Tarance sah. Es war, als würde die Rose kräftiger leuchten. Tarance Antwort. Er würde sie auch nie vergessen und den Wurm, den sie nicht hatte behalten können. Sie würden auf der anderen Seite auf sie warten und dann würden sie sich eines Tages wiedersehen. Aber Tarance wollte, dass sie lebte. Dass sie alles erlebte und fühlte, was das Leben ausmachte. Für sie Beide und dass sie am Ende als glücklicher Mensch sterben würde und zu ihm zurückkehrte. Glücklich und erfüllt und er würde alles mit ihr erleben.




Envoyé: 11:24 Fri, 3 April 2015 par: Talarico, Gina