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Katharina Wurzer

Laut Schweigen - Verklagen wir die Sprache!



Es tut mir leid, dass ich mich erst so spät melde. Zuerst hatte ich es mit einer Ausrede probiert, habe mich dann aber schließlich doch dafür entschieden, dir sämtliche grausige Erkrankungen, psychische Gebrechen, die Auflistung tausender Tätigkeiten, Problemerläuterungen oder Ungeziefer in meiner Wohnung zu ersparen. Hoffentlich ist dir die Wahrheit auch lieber, denn sie ist möglicherweise äußerst zerstörerisch - wie eine Ruine verliert sie sich jeden Tag ein Stückchen mehr-, chaotisch - wie irrationale Zahlen treibt sie selbst Mathematiker in die Verzweiflung. Die Chaostheorie könnte harmlos dagegen sein. Sie könnte Skepsis und Zweifel aufbringen.
Nun, wo soll ich bloß anfangen? Fazit ist, ich traue den Wörtern nicht mehr. Hast du dich jemals gefragt, warum wir gefrorenes Wasser Eis nennen, gar warum Wasser Wasser heißt? Macht es unsere Kommunikation wirklich einfacher? Wo liegt der Unterschied zwischen einer Blume und einem Röschen? Natürlich könntest du jetzt antworten, dass es eine bestimmte Art ist, aber eben doch eine Blume. Und ab welcher Größe wird überhaupt verniedlicht?
Warum sagen wir Appendix, wenn doch Blinddarm dasselbe bedeutet? Weshalb ist eine Bank mal Geldinstitut, mal Sitzgelegenheit?
Mir schwirrt so vieles im Kopf herum. Gib dir keine Mühe, denn ich bin bereits krank vor Wörtern. Nachts, wenn ich die Augen schließe, tanzen sie auf meiner Nasenspitze. Ihr schallendes Gelächter dringt tief in mein Ohr ein. Tags springen sie mir von Plakatwänden ins Gesicht, verfolgen mich mit ihren Spielen, bis ich übersättigt bin und nichts mehr hören kann.
Ein grausiges Erwachen sag ich dir, aus dem ich nicht zu entrinnen vermag. Ich befinde mich in der Krise, die ich gleichzeitig nur durch Wörter zu beschreiben gelernt habe und deren Bewältigung wiederum mit Sprache zu tun hat. Dies scheint mir ein Widerspruch zu sein.
Wider müsste für das Gegenteilige stehen, aber ein Gegenspruch wozu eigentlich? Gegen das Dilemma, in einer Sprachkrise zu sein und diese durch Aneinanderreihung von Buchstaben und Satzzeichen ausdrücken zu wollen? Sollte man Wörter bei ihrer Bedeutung nehmen, aber woher kommt diese, wer hat sie bestimmt, sollen wir sie verändern dürfen? Sprichwörter sollen nicht bildlich genommen werden, sagen die meisten, die ich darüber sprechen höre.
Das mit der Intuition eines Ausdrucks ist ja bekanntlich überhaupt so eine Sache: Wir bauen auf Erfahrungen auf, vergleichen diese miteinander in unserem Kopf und egal, was du sagst, jede Reaktion ist anders und nicht kontrollierbar. Sie verflüchtigt sich, richtet manchmal Unheil an und dann ist nichts mehr so, wie es bisher war.
Bedenke, dass dies alles bloß mit diesen verdammten Wörtern zu tun hat. Gib ihnen die Schuld, dass sie stets neu aufgefasst werden. Sie haben sich anzupassen und zu wissen, was wir sagen wollen.
Wer hat den ersten Buchstaben erfunden, noch besser die Vorarbeit dazu geleistet? Den zeig ich an. Mit den Anklagepunkten Betrug, Diebstahl oder gar Mord am Gegenstand an sich. Wir haben keine genauen Bilder mehr im Kopf, keine Orientierung ohne Schilder mit schwarzen, dicken Lettern. Kinder sind uns Voraus.
Es geht bergab, ich falle in eine tiefe Schlucht, bade im Meer, angle Buchstaben - F-I-S-C-H-E-, setze sie zusammen, esse, spucke, schlucke sie, verschlucke mich, bekomme den Hals dennoch nicht voll und mache weiter.
 
Weitermachen mit Personen, deren Devise "Sei doch kein Schaf" nicht zu ihrer Existenz als Kalb passt, welches die Seme [belebt], [tierisch] und [konkret] enthalten könnte. Wenn du jetzt an das Goldene Kalb denkst, darfst du sogar [religiös] hinzufügen.
Hinzukommende, beigefügte Zutaten, die wir beliebig und tausendfach zu Texten erstellen, wenn wir nicht bereits in diesem Wirrwarr untergehen und laut schweigen. (Laut schweigen über die Verherrlichung von Sprache, über ihre aufgedrückte Verwendung, uns nicht verständliche Metaphern, Sprachpessimisten und Identitätsverlust.)
 



Envoyé: 07:58 Thu, 2 April 2015 par: Katharina Wurzer