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Zinnen Carmen

Medea und der Schatten Thanatos



Vor vielen Jahren lebten auf dieser Erde zwei Völker, die Helioniten, auch gern als Lichtvolk bezeichnet, und die Seleniten, auch als das Volk der Dunkelheit bezeichnet. Diese Namen verdanken die Völker ihrer speziellen Lebensweise. Die Helioniten lebten an der Oberfläche der Welt, während die Seleniten in Höhlen lebten. Darüber, wie es zu dieser Situation kam, darüber streitet sich die Wissenschaft noch heute, man vermutet aber dass es am wahrscheinlichsten ist, dass ein Krieg unter den Völkern dazu führte. Die einzige Überlieferung, die noch existiert, ist die Geschichte unseres Protagonisten und wie sie diese Ordnung fast durcheinander brachte.

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist... steinfarben!“, rief Medea und lächelte breit. „Menno, Medea, das ist ungerecht hier ist alles steinfarben“, empörte sich Demosthenes, ihr jüngerer Bruder und fuhr fort: „Wieso kann es nicht schattenfarben sein oder lichtfarben, das wäre einfacher.“ Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als ein alter Mann mit dem Stock winkte, auf den er sich vom Leben mitgenommen, aufstützte: „Meine lieben Enkel, verunglimpft nicht unseren Lebensinhalt auf diese niedere Art und Weise!“ „Ist gut, Opa. Medea du bist!“ „Nein, du.“ „Hey, in der Höhle wird nicht gerannt! Die Jugend heutzutage, seufz“ Plötzlich hallte ein entsetzliches Pfeifen durch die Höhle. Augenblicklich blieben alle in der Höhle stehen, drehten sich in Richtung einer großen, leeren Wand, auf die ein Lichtstrahl fiel und fielen auf die Knie. Noch ehe der Widerhall des Pfeifens verklungen war, tauchte ein Schatten an der Wand auf. Es war der Schatten einer dämonisch anmutenden Kreatur mit einer annähernd menschlichen Silhouette, lediglich die Drachenflügel und die Hörner passten nicht ins Bild. „Ich, Thanatos, Herrscher über den Ort, wo Licht und Schatten zusammenstoßen, habe eine Botschaft von der Welt, die eure Ahnen noch leibhaftig kannten und die nun so aussieht, durch ein grausames Ereignis. Aber seht selbst.“

An der Wand tauchten Schatten von kahlen Ebenen auf, mit toten Bäumen und Tierknochen, soweit das Auge reichte. Medea und Demosthenes hatten sich neben ihrer treusorgenden Mutter Athina niedergelassen und starrten gebannt die Kreatur an der Wand an, und die Bilder, die folgten. Niemand hätte auch nur im geringsten gewagt, den Blick von den Schatten abzuwenden. „Mama, warum dürfen wir eigentlich nie die gegenüberliegende Wand ansehen? Seit ich denken kann, bewegen wir uns so, dass unser Blick diese Wand nicht auch nur annähernd trifft.“, fragte Medea ihre Mutter, die sogleich voller Entsetzen dreinblickte. „Medea, Liebes, so etwas fragt man nicht. Thanatos bewohnt den Ort hinter dieser Mauer, unsere Augen würden zu Staub zerfallen durch sein Licht, was er uns schenkt. Als junges Mädchen habe ich einmal in dieses Licht geblickt. Es schmerzt und danach bist du eine Weile fast blind, also denk nicht mal dran, die Wand in Augenschein zu nehmen!“, antwortete Athina und wandte sich wieder den Schatten zu.

Ihr Tun blieb nicht ohne Folgen. „ Athina, Tochter der Dunkelheit, warum spricht deine Tochter falsche Theorien aus?“, donnerte die Stimme von Thanatos durch die Höhle. „Nenn mir einen guten Grund, sie nicht augenblicklich in mein Reich zu ziehen!“ Athina ließ sich auf den Höhlenboden sinken und verbarg ihr Gesicht: „Oh Thanatos, Herr über Licht und Dunkel, Wächter der Welt, die wir nur durch dich sehen können, Bringer von Nahrung und Wasser, meine Tochter ist unwissend und redet wirr in dieser Unwissenheit, vergebt mir, dass meine Erziehung bei ihr versagte.“ „Athina, Tochter der Dunkelheit, meine Gnade ist heute groß, opfere mir die Tränen des Mondes für dein Versagen und den Ungehorsam deiner Tochter, und ich werde vergessen!“, grölte Thanatos und verschwand von der Wand. Augenblicklich änderte sich die Stimmung im Volk der Seleniten. Alle ohne Ausnahme starrten Athina und ihre Tochter Medea an, nicht aus Mitleid oder Entsetzen, nein, die Blicke, die sie aussandten, waren feindselig und kühl. Es waren die Blicke von alten Leuten, Familien, Waisen und von Kleinkindern. Athina fühlte sich unwohl und Medea drückte sich fest an ihre Mutter und vergrub ihr Gesicht. Ein kleiner Junge sprach schließlich aus, was die Gesellschaft dachte: „Medea, du stürzt uns noch alle ins Unglück mit deinen Fragen. Meiden sollten wir dich.“

Diese Feindseligkeit hielt sich hartnäckig den ganzen Tag, so dass das Opfern der “Tränen des Mondes“ die eigentlich glänzende Steine waren, die man auf dem Boden der Höhle fand, zu einem Spießrutenlauf wurde. Während Athina und ihre Tochter rückwärts durch den Korridor der Menschenmenge gingen mit dem Korb, den Thanatos ihnen hingestellt hatte, erfüllte eine Geräuschkulisse des Raunens und Spottens die Höhle. In dem Moment fasste Medea eine Entscheidung: „Ich gehe egal wohin, aber ich gehe.“

Nach einigen Tagen wurde ihr auch klar, wohin sie gehen würde, zur Wand, die sie noch nie ansehen durfte, vielleicht mag es die Neugierde sein, die sie packte, jedenfalls wartete sie den Moment ab, als jeder damit beschäftigt war Steine zu sammeln. Sie ging langsam rückwärts Richtung Wand. Sie spürte bei jedem Schritt, wie es wärmer und wärmer wurde, bis sie mit dem Rücken zur Wand stand. Sie musste sich beherrschen, keinen Schmerzensschrei auszustoßen, denn die Wand war glühend heiß. Sie atmete tief ein und drehte sich um, dabei fiel ihr Blick auf eine Tür in der Wand. Sie schluckte und ihr Herz raste während sie dachte: „Jetzt oder nie!“ Sie öffnete die Tür, ging hinein und schloss die Tür hinter sich vorsichtig. „Ich will doch zurück“, schoss es ihr durch den Kopf, als sie vom Licht geblendet wurde, das durch eine Öffnung fiel. Sie wollte die Tür öffnen, doch sie blieb verschlossen. Während sie sich an das Licht gewöhnte, hörte sie die Schreie ihrer Mutter: „Er hat sie geholt, Thanatos hat sich Medea geholt. Doch die Schreie gingen in einem gemeinsamen „Thanatos Macht ist grenzenlos!“, unter. Als ihre Augen sich ein wenig an die Sonne gewöhnt hatten, bemerkte sie den liegenden Thanatos auf dem Boden. Sie erschrak zu tiefst und versteckte sich hinter einem Felsen. Doch als sie zum zweiten Mal näher hinsah, bemerkte sie, dass auf dem Boden überall hölzerne Abbilder lagen. Sie zog die Ebene mit den toten Bäumen aus dem Stapel und brach versehentlich Thanatos ein Horn ab. „Das ist alles nicht echt. Thanatos und die Welt, die er zeigte, existieren nicht. Aber, was ist dann real? Was ist mit unserer Welt? Medea verstand die Welt nicht mehr, alles was ihr Leben ausgemacht hatte war eine Lüge. Wutentbrannt und empört rannte sie dem Höhlenausgang entgegen und wurde prompt eingefangen. „Lasst mich los, verdammt noch mal!“, brüllte sie, trat und biss nach ihrern Angreifern. „Seleniten-Kinder sind ja so süß, ein Jammer dass sie den Weg hinaus gefunden hat.“ „Sie hat ihn auch nur gefunden, weil du die Heizung der Tür nicht repariert hast, Amphion. Du hast das nun auszubaden, denn ich lösche ihr das Gedächtnis nicht aus, wenn du verstehst was ich meine!“ Medea hatte mittlerweile aufgegeben, sich zu wehren, denn ihre Angreifer waren deutlich stärker und größer als die Menschen, die sie kannte. „Gut, gib sie her, Krateos. Aber du lieferst dafür die Steine zur Fabrik.“ „Abgemacht.“

Amphion nahm sie und trug sie über einen Pfad einen Berghang entlang, vorbei an anderen Höhlen. Im Tal erblickte Medea ein riesiges Fabrikgelände und eine noch imposantere Stadt. „Weißt du Kleine, ich hasse es, wie wir Helioniten euch unterdrücken. Ihr werdet in diesen Höhlen gehalten wie Vieh. Es ergab sich so meines Erachtens, da ihr einfach von Natur aus schwächer und naiver seid. Nimm es nicht persönlich. Weißt du, ich rette dir gerade dein Leben.“ Er hielt sie daraufhin über ein Loch und ließ sie fallen. Medeas letzter Gedanke war: „Ich dachte wirklich, er wollte mir das Leben retten?“ Sie landete dennoch unglaublich sanft, nur in einer anderen Höhle. „Ich könnte das nun vergessen wie meine Mutter dies tat oder...“, dachte Medea und rief drauf los: „Volk der Dunkelheit, ihr werdet getäuscht, Thanatos und seine Welt sind eine Lüge der Helioniten, um uns als Arbeiter zu missbrauchen. Ich weiß es, denn ich war da.“ Sie schritt auf die Menschen zu und bemerkte, dass sie fast blind war. Woraufhin die ganze Gesellschaft lachte und grölte. Eine Frau spottete: „Seht nur, die von Thanatos geblendete, wie sie stolpert und stakst. Sie redet wirr durch ihren Fluch. Sie hat Thanatos leibhaftig gesehen und wurde durch sein Licht geblendet. Lang lebe Thanatos, unser Herrscher über die Welt von Licht und Schatten. Unser Bringer von Nahrung und Wasser. Unsere Opfer sollen zahlreich sein. Medea ließ sich langsam auf ihre Knie fallen, riss die Hände hoch, so gut sie konnte, denn ihr tat alles weh, fiel nieder und rief: „Oh Thanatos, deine Macht die anderen zu blenden ist grenzenlos!“

So endet die Überlieferung der Geschichte von Medea und dem Schatten von Thanatos. Ist sie so überliefert aus der Sicht der Seleniten oder Helioniten? Man kann es nie wissen. Wurde sie durch all die Jahre verfälscht, um den Sinn anzupassen? Wer weiß. Jedoch sollte uns diese Geschichte einen Denkanstoß geben, vielleicht die eine oder andere Realität zu hinterfragen und sei es auch nur aus Neugierde.
 




Envoyé: 06:40 Thu, 30 March 2017 par: Zinnen Carmen