Retour

Klaassen Eline

Der Knabe, der das Glück suchte



Vor alten Zeiten, als der liebe Gott selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, dass ein junger Bäckersjunge sich mit Schwermut an seine Mutter wendete: 

„Mutter, liebste Mutter, sosehr ich es auch suchen mag, mein Glück liegt nicht hier im Bäckersleben. Meine Seele, sie will Freiheit, meine Lungen, sie wollen Außenluft. Bitte, liebste Mutter, lasst mich gehen, lasst mich die weite Welt erkunden!“ 

„Ach Sohn, so jung bist du noch! Lieber wär’s mir, du würdest noch ein bisschen bleiben, würdest noch eine Zeit an meiner Seite ruhen.“ 

„Liebste Mutter, würde ich bleiben, so würde mir zerspringen das Herz, ersticken die Lunge vor Sehnsucht. Die Zeit ist gekommen, zu gehen." 

„Nun, so soll es dir recht ergehen. Möge der liebe Gott dir zur Seite stehen auf allen deinen Reisen.“ 

„Lebt wohl, Mutter!“ 

„Leb wohl, Sohn!“ 

Mit schmerzendem Herzen hinterließ der Knabe seine einsame Mutter und wanderte stets frohgesinnt durch die große, weite Welt.  

Doch nach einer Weile, als seine Vorräte zu Ende neigten, kehrte sein Unglück zurück. Mit schweren Gliedern und müden Beinen ließ er sich auf einem großen Stein nieder und sagte sich:  

„Was bringt mir schon die Freiheit? Die Natur ist schön, doch der Mensch braucht Geld zum Leben. Was mir fehlt, ist Reichtum!“ 

Es fügte sich, dass der König dieses Landes unter einer schlimmen Holzwurmplage zu leiden hatte. Eine hohe Belohnung galt dem, der das gesamte Schloss von jeglichem Holzwurm zu befreien wusste. Etliche Handwerker hatten sich schon darin versucht, doch bislang waren alle jämmerlich gescheitert. Als der Knabe davon erfuhr, dachte er bei sich: 

„Was kann es schon schaden, mein Glück zu versuchen? Zu verlieren habe ich nichts, und es wäre fabelhaft, über eine solch wundersame Summe Geld zu verfügen.“ 

Er meldete sich beim König und bot sich ihm als Tischler an. Dieser ließ ihn in einen von Möbeln gefüllten Raum ohne jegliches Hilfsmittel führen. Sobald er sicher war, alleine zu sein, rief er einige Vögel zur Hilfe.  

„Sagt, ihr Vögel, ihr mögt doch Würmer zum Essen, ist’s nicht?“ 

„Oh ja, eine Delikatesse!“, schwärmten die Vögel. 

„Würdet ihr für mich, wenn es sein muss, ein paar hundert Holzwürmer fressen?“ 

„Aber sicher!“ 

„Vielen Dank, ihr werdet vielleicht noch von mir hören.“ 

Mit diesen Wörtern schloss der Knabe das Fenster. Dann wandte er sich an die vielen Holzwürmer: 

„Ihr Würmer, ihr habt eine Stunde Zeit, euch nach draußen zu begeben. Tut ihr das nicht, so werden die Vögel euch allesamt auffressen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ 

Verängstigte Stimmchen quiekten: 

„Ja, Herr! Eine Stunde!“ 

Sogleich bildete sich eine nicht enden wollende Schlange an Würmern, die durch das nun wieder geöffnete Fenster nach draußen krochen. Eine Stunde später war, wie der Knabe zufrieden feststellte, alles Holz frei von Würmern. Beglückt über den Erfolg begab er sich zum König, welcher die Möbel argwöhnend von seinen Dienern untersuchen ließ. Nachdem diese jedoch nicht einen Holzwurm entdecken konnten, musste der König dem Knaben das Geld verabreichen.  

Nun konnte der Knabe gut gefüllter Taschen sowie leichten Herzens weiterziehen. Lange Zeit lebte er glücklich und zufrieden durch die Welt wandernd, doch dann kehrte sein Unglück zurück. Betrübt sagte der Knabe sich: 

„Was bringt mir schon der Reichtum? Ich kann ihn weder teilen, noch ihm meine Gefühle anvertrauen. Was mir fehlt, ist ein guter Freund!“ 

Somit zog er weiter. Er gelangte in einen Wald, wo ihm ein junger, verwahrloster Hund in die Arme lief. Überrascht fragte ihn der Knabe:  

„Wo kommst denn du hergelaufen? Vermisst dich dein Herrchen nicht?“ 

Des Hundes Augen wurden groß und traurig. 

„Ich lebe hier im Wald. Ein Herrchen habe ich nicht mehr, es wollte mich nicht und setzte mich aus.“ 

„Hund, würdest du ein neues Herrchen wünschen? Möchtest du mit mir durch die Welt reisen?“ 

Die Schnauze des Hundes schien zu strahlen vor Glück. 

So kam es, dass der Knabe seine Reise zu zweit fortsetzte. Der Hund tat seine Pflicht sehr wohl und brach keines seiner Versprechen. Und doch suchte das Unglück den Knaben eines Tages wieder heim. Er sagte sich: 

„Was bringt mir schon ein guter Freund? Mein Herz, es sehnt sich nach Liebe, meine Seele, ihr fehlt das wunderschön zärtliche Flüstern einer liebenden Jungfer. Was mir fehlt, ist eine schöne Gemahlin!“ 

Es kam, dass in einer prachtvollen Burg ganz in der Nähe eine hübsche, junge Prinzessin lebte, die auf der verzweifelten Suche nach einem Ehemann war. Als er davon erfuhr, machte sich der Knabe sogleich auf den Weg dorthin. Sobald er sie sah, verliebte er sich unwiderruflich in sie. Es war die schönste, die reinste Kreatur, die er je gesehen hatte.  

 Der König richtete das Wort an den jungen Mann: 

„Wenn du folgende Aufgabe erfüllst, erhältst du als Lohn meine Tochter zur Frau: In der Schlosswiese verlor meine Tochter im vergangenen Jahre einen kostbaren Diamantenring. Findest du den, erhältst du deinen gerechten Lohn.“ 

Der Knabe eilte sogleich mit seinem treuen Hund in die Schlossweide, tat alles, um den Ring zu finden. Der ausgeprägte Geruchssinn des Hundes war ihm dabei eine große Hilfe. Doch der Schlossgarten war groß und mit der Zeit brach die Dunkelheit an. Erschöpft rief der Knabe seinen Freund zu sich. Der kluge Hund riet ihm:  

„Es geht nicht um die Oberfläche, das Innere zählt!“ 

Der Knabe schöpfte neuen Mut und fing unermüdlich zu graben an. Der Hund half ihm eifrig. Sie waren vollkommen verdreckt, der Schlamm tropfte nur so vom Fell des Hundes und dem Haar des Knaben. Doch sie ließen sich nicht aufhalten und gruben weiter, obwohl sein Gesicht schwarz vor Erde war. Um Mitternacht rief der Hund plötzlich erfreut:  

„Der Ring, er ist hier!“ 

Übermütig vor lauter Glück nahm der Knabe den Ring und trug ihn behutsam zu seiner Geliebten. Doch als diese den schmutzigen, verdreckten Knaben mit den zerrissenen Lumpen sah, schrie die edle Prinzessin schrill auf und fiel anmutig in Ohnmacht. Der Knabe eilte verschreckt zu ihr, doch er wurde von den Lakaien der Prinzessin würdelos vor das Schlosstor getreten. 

Der Knabe gab die Suche nach der Liebe nun auf. Vollkommen niedergeschmettert lag er vor dem Schlosstor, selbst der Hund war am Ende seiner Kräfte. Der Knabe machte sich nicht einmal mehr die Mühe, sein Gesicht oder seine Kleider zu säubern, sondern schleppte sich verdreckt und unglücklich aus der Stadt, sein Hund trottete mit hängenden Ohren und schmutzigem Fell hinterher. 

Am folgenden Morgen schöpfte der Knabe neuen Mut und beschloss, ein Bad im Fluss zu nehmen. Kaum baumelten seine verdreckten Beine darin, da surrte plötzlich ein riesiger Schwarm wunderschöner Marienkäfer herbei und übersäte seinen gesamten Körper. Der Knabe aber wurde nicht munter, seufzte nur bekümmert: 

"Wenn ihr mich denn nur glücklich machen könntet!" 

Da breiteten die Käfer ihre Flügel aus und waren mit einem Mal weg. Stattdessen erklang aus dem Nichts eine glockenklare Stimme, die keinen Körper hatte: 

"Sag, du Bursche, was macht dich so unglücklich?" 

"Mir fehlt jegliches Glück, das bedrückt mich." 

"Ich will dir Glück schenken, solange du nur daran glaubst!" 

Von diesem Tag an lebte der Knabe ein fröhliches Leben, stets erfüllt von dem Glauben an das Glück, das ihn seit seiner Geburt umgeben hatte. 

So trug es sich zu, dass der unglückliche Knabe am Ende der glücklichste Mann auf Erden war, und es bis an sein seliges Ende sein würde. 
 




Envoyé: 06:35 Thu, 30 March 2017 par: Klaassen Eline