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Haas Claire

Periculum in mora – Gefahr im Verzuge

 

Mittwoch 20.03.2013     17:54   

Ich wurde verfolgt. Ich war mir dessen sicher, obwohl meine schnellen Schritte und mein rasendes Herz das einzige waren, was ich hörte. Ich lief schon seit Stunden wie ein Verrückter durch den Wald, gefolgt von meinem eigenen Schatten. War das denn nicht was ich wollte?

Ich schloss meine Augen und blieb ruckartig stehen. Hinter meinen Augenlidern bildete sich ein Feuerwerk von tausenden, leuchtenden Farben. Was ich sah, war eine herrliche Blumenwiese und ganz weit am Horizont, erahnte ich die Umrisse dreier Personen. Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich musste weiterlaufen. Ich durfte nicht daran denken. All dies war jetzt  Vergangenheit.

Ich stolperte über die vielen Baumwurzeln, die überall aus der Erde herausragten. Sie schienen nach mir greifen zu wollen, was mich umso schneller laufen ließ. Ich wollte alles vergessen was geschehen war. Ich war unschuldig. Wie hätte ich ihnen den helfen können?

Von irgendwoher drang Hundegebell an mein Ohr und bei dem plötzlichen Rattern eines Motorrades, schien mein Herz einen Moment lang auszusetzen. So langsam kam ich richtig ins Schwitzen und mein Hals fühlte sich ganz trocken an. Ich sollte wohl besser eine Pause einlegen.

Während ich stehen blieb und meine Augenlider sich augenblicklich schlossen, befand ich mich wieder auf dieser wundervollen Wiese. Diesmal fand ich sie jedoch leer vor. Von einem Moment auf den anderen schlug die Luft um und ein Gewitter brauste auf. Plötzlich tanzten überall hässliche Fratzen um mich herum und schrien meinen Namen. Carter. Carter.

Das alles wirkte so beängstigend echt. Als die verzerrten Gesichter mir zu nahe kamen und ich ihre durchbohrenden Blicke nicht mehr ertrug, öffnete ich blitzschnell meine Augen. Ich spürte wie sich das Entsetzen in mir ausbreitete und sprintete los, in der Hoffnung, diese furchtbaren Bilder nie wieder in meinen Kopf eindringen zu lassen.

Die Stimmen gingen mir jedenfalls nicht mehr aus dem Kopf. Man könnte fast meinen, sie hätten Hände bekommen und würden sich an mir festkrallen wollen. Als ich es nicht mehr ertragen konnte, fing ich selbst mit schreien an. Ich schrie mir die Seele vom Leibe. Doch egal wie laut ich brüllte, die Stimmen übertönten meine um Längen. Ich blieb stockend stehen. Vor mir lag meine einzige Hoffnung.

Aus Erschöpfung schlossen meine Augen sich und ich erblickte wieder die gleiche Wiese, wie die Male zuvor. Diesmal war es allerdings totenstill. Wortwörtlich. Denn am Ende des Horizonts erspähte  ich wieder Umrisse. Sie entsprachen vier Grabsteinen. VIER?

Nachdem ich entziffern konnte, was sich darauf befand, torkelte ich nach hinten. Mir wurde übel. Dann brach ich in minutenlanges Weinen aus. Stopp. Ich musste mich zusammenreißen. Ich hatte mir es doch schon vor Jahren so ausgedacht und jetzt sollte es auch geschehen. Es war mein letzter Wille.

Mein Leben spielte sich wie ein Film vor meinen Augen ab. Alles was mir je am Herz gelegen hat, war mir entnommen worden. Seit dem Schiffsunfall war alles anders. An dem Tag als man mir gesagt hatte, dass meine Mutter und Geschwister ertrunken waren, war ich nicht mehr normal. Ich wurde depressiv und lebte eigentlich bloß  noch mit hohlem Körper. Mein Geist war längst mit dem von meiner Familie vergraben worden.

In den letzten Tagen hatte ich besonders viel darüber nachgedacht und mich endgültig entschlossen. Ich trat an den Rand der schwindelerregenden Klippe, breitete meine Arme aus und wartete darauf, dass mich der Tod umarmte.

Anna-Maria Göritz

22.04.1977 – 20.03.2009

Michaela Göritz

11.02.2002 – 20.03.2009

Sten Göritz

05.09.2000 – 20.03.2009

Carter Göritz

03.07.1998 – 20.03.2013




Envoyé: 16:51 Wed, 1 April 2015 par: Haas Claire