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Kohl Joshua

Das fantastische Reich des Schattenkönigs

 

Ich flog auf Saphir, meinem Drachen, den Hunnengraben hinunter, immer im Blickfeld der peitschenden Trauerweide, die uns diese Strafe eingebrockt hatte. Aber erst mal von vorn. Alles kam so: Wir, die Jugend aus dem Dorf Brugahall, trainierten mit der Trauerweide jeden Tag „ausweichen“. Eines Tages peitschte die Weide jedoch so fest, dass ich keine Zeit hatte, auszuweichen und schleuderte mich bis zum Stadtrand, wo Saphir mich schlussendlich blutend fand. Die Drachendame wurde so wütend, dass sie die Weide beinahe geköpft hätte. Unser Dorfältester sah Saphir auf die Trauerweide losgehen, wusste aber nicht, was der Baum vorhin mit mir getan hatte. Also wurde die arme Weide bedauert und wir bekamen, unter ihrem hämischen Grinsen, den Auftrag, einen Tentakel des Ungeheuers Geronimus mitzubringen und den mysteriösen Schattenkönig im Duell zu besiegen.

Da flogen wir nun, Saphir und ich. Diese feige Feige von Bäumchen hatte sich nicht mal getraut, mit in das Schattenreich einzutreten.

Gegen Einbruch der Dämmerung sahen wir den Höhleneingang, umgeben von Flammen, die einen Bogen formten. Saphir ging auf den Eingang zu, sie schien nicht ein Fetzelchen Angst zu haben. Aber ich wusste, dass das nur von außen so wirkte. Ich spürte, dass sie immer mit einer gewissen Vorsicht alle Abenteuer bestritt. Der Höhleneingang bestand aus wild lodernden Flammen, vor denen ein Schild montiert worden war. In altmodischen Buchstaben stand: „Sterben auf eigene Gefahr!“. „Na dann! Ab in den Tod“, dachte ich. Nachdem unsere Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen wir ein unendliches Labyrinth an Tunneln, an dessen Enden wir die verschiedensten Welten sahen. Da war unter anderem die Gruselwelt, die aber nur halb so schlimm war wie anfangs gedacht und wo nur ein paar olle Gräber, ein dutzend morsche, knarzende Bäume vor einer aus Pappe bestehenden Grottenwand standen. Es war mehr oder weniger atemberaubend.

Es gab auch noch die Fantasiewelt, für Romantiker wäre es wahrscheinlich der Aufenthaltsort schlechthin. Über fünfundzwanzig Regenbögen erhoben sich über einem kunstvoll-träumerisch blauen Himmel. Aus mit Diamanten verzierten, winzigen Tropfsteinhöhlen floss kristallklares Wasser, das nach hinreißendem Blubberlutsch schmeckte.

Und dann war da noch die Höhlenwelt, die auch Pflanzen-Höhlenwelt hätte genannt werden können. Von meterhohen Stalagmiten perlten tausende Wassertropfen ab. Knollenförmiges Gewächse, plätschernde Bäche, Blumenspiralen, Verzweigungen aus Hecken, ein fantastischer Anblick, das kann ich euch versichern.

Dann gab es noch die Feuerwelt: Lavaquellen sprudelten aus finsterem Gestein, mündeten in einem dunkelrot glühenden Lavasee. Beeindruckend waren auch die tödlichen Feuerflüsse, über die eine baufällige Brücke führte. Mein Gefühl sagte mir, dass das Ungeheuer dort unten hausen würde. Dorthin mussten wir nun wohl gehen.

Ihr fragt euch jetzt bestimmt, warum ich vor den Gruselwelten keine Angst hatte. Ich könnte jetzt behaupten, ein Mann wie ich habe vor nichts Angst, doch in Wahrheit ist es so, dass in unserem Dorf jeder von klein auf an diese blöden Geschichten gewöhnt ist.

Saphir und ich gingen also schnurstracks in die Feuerwelt und auf den sichersten Punkt der Brücke zu. Dort angekommen, fing ich sofort an, feuer-und lavadichte Stahlbarrikaden zu errichten. Diese sollten uns vor dem Monster schützen. Ich legte mein Schwert Anaklysmos, übersetzt Springflut, ins sicherste Eckchen unserer kleinen Festung, wo Saphir bereits ein Dach montiert hatte. Ich befestigte die neuste Erfindung unseres Dorfalchemisten Dackmar MacMacker, die er selbst als KADABADUMM bezeichnete. Er hatte mir für meine Mission zwei KADABADUMMSE mitgegeben.

Plötzlich vernahm ich ein Zischen. „Das Monster“, ging es mir durch den Kopf. Unsere Festung war zwar bereit, doch mit einem direkten Angriff hatten wir nicht gerechnet. Ich machte mich an dem Kadabadumms zu schaffen, lud es und feuerte auf das Monster , das einen ohrenzerfetzenden Schrei ausstieß. Es war verwundet, doch noch weit entfernt von tot.„Jetzt aber mal rein in das warme Bad“, dachte ich mir als ich von der Brücke sprang, direkt auf den stacheligen   Rücken der Bestie. Ich rammte ihm Anaklysmos zwischen die Schuppen, und noch mal und noch mal. Dutzende weitere Schreie des Schreckens folgten, doch keine Anzeichen vom Tod. Ich hob Springflut, setzte zum Schlag an, und haute einen Tentakel ab, von dem ich nochmal ein gutes Stückchen abtrennte, bis Saphir geflogen kam und mich mitnahm. Auf der Brücke gelandet, ruhten wir uns erst mal aus. Nach einer schweigsamen Stunde fragte mich Saphir, wann wir den Schattenkönig zum Duell herausfordern wollten. Ich wusste, dass, jetzt, wo wir den Tentakel hatten, Saphir nicht daran zu hindern wäre, auch noch den Schattenkönig zu besiegen. „Noch heute, vor Anbruch der Dämmerung“, versicherte ich der Drachendame. Das mit der Dämmerung war jedoch recht schwierig, wenn man sich in einer Höhle befand. Nachdem wir also unserem Gefühl nach zweieinhalb Stunden gewartet hatten, machten wir uns auf den Weg ins Schreckensschloss. Ich hatte meine Rüstung wieder angelegt, was jetzt professionell klingt, aber eigentlich hatte nur mein Schwert als Rüstung dabei.

Wir klopften an das pechschwarze Tor, an dem oben scharlachrote, zerfetzte Fahnen hingen. Eine kleine Luke öffnete sich und etwas wie ein Troll oder Elf lugte hinaus. „Wie kann ich dienen, mein Herr?“, fragte er mich. „Ich wünsche den Schattenkönig zu sprechen!“, antwortete ich ihm. Er sah mich an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte.“ Im Ernst? Ich meine, Dropsi, das bin ich, könnte das regeln, aber wollen Sie ihn wirklich sehen?“

„Das will ich“, antwortete ich mit fester Stimme. Das Tor öffnete sich und der elfige Troll, oder trollige Elf, führte mich zum Thronsaal. „Bitte, mein Herr erwartet euch!“, piepste er. Ich schritt in den Saal.

Der Anblick war... unbeschreiblich. Meterhohe Marmorsäulen hielten die goldene Decke, die mit Platin, Silber und Bronze verziert war. Die zwei Throne, bestanden aus Diamanten mit Lapislazuli verziert, alles in einem: WOW. Der Schattenkönig schnipste mit den Fingern und plötzlich dröhnte die Stimme eines Wachen: „Die Gattin unseres Königs!“

Eine junge Frau trat hervor, machte einen Knicks vor dem König und setzte sich neben ihren Gemahl. Doch sie wirkte irgendwie nicht glücklich: sie wirkte verängstigt, war leichenblass und hatte tiefe Ringe unter den Augen. Sie hielt bewusst Abstand zum König, als ob sie ihn überhaupt nicht heiraten gewollt hatte.

Der Schattenkönig selbst sah furchterregend aus, mit einem vernarbten Gesicht, er hatte kurz geschnittenes, pechschwarzes Haar. Er war ungefähr Mitte zwanzig. Die Frau war um die zwanzig, etwa so alt wie ich und sie hatte langes, blondes Haar. Ich fackelte nicht lange und schrie: „Kämpfe mit mir!“ Der Schatten schien überrascht, dass ich ihn herausforderte. Aber er dachte sich wahrscheinlich, dass sowieso keiner gegen ihn eine Chance habe, also erhob er sich von seinem Thron und schritt gemächlich in die Mitte des Saales. Gelangweilt ließ er sich ein Schwert bringen. Danach forderte er seine Frau, gemäß der Kampftradition seines Reiches, dazu auf, sich für mich oder für ihn zu entscheiden. Das war eine Aufgabe, die blitzschnell tödlich für sie enden konnte. Ich erwartete, dass sie sich auf die Seite ihres Gemahles stellen würde, doch erstaunlicherweise ging sie auf mich zu und damit war ihr Tod so gut wie sicher.

Doch jetzt musste ich all meine Gedanken auf den bevorstehenden Kampf fokussieren. Ich ließ meinen Gegner auf mich zukommen. Er täuschte links an, machte einen Schlag rechts. Ich parierte problemlos, startete einen Gegenangriff. Ich musste seine Schwäche finden, sonst hatte ich gegen diesen Profi keine Chance. Es war ein intensiver und kräftezehrender Kampf. Ich machte einen Spezialtrick, den mir mein alter Lehrmeister Gero beigebracht hatte. Wie ich es erhofft hatte, wehrte der Schattenkönig den Schlag nicht ab, er war scheinbar zu erstaunt wegen der immensen Kraft, die ich für den Schlag nach dem Trick hatte. Zu meiner großen Überraschung sank er benommen zu Boden. Vor Anstrengung fast zitternd hielt ich ihm mein Schwert unter die Kehle. Ich konnte es nicht fassen: Ich hatte den legendären Schattenkönig besiegt!

Doch vor Erstaunen war das Einzige, was ich herausbrachte: „Wollen sie mit mir kommen, gnädige Frau?“ Die ehemalige Königin wirkte sehr gefasst, nein schon eher erleichtert, wie befreit. Sie nickte nur kurz mit dem Kopf und folgte mir. Draußen angekommen, schwangen wir uns auf Saphirs Rücken und flogen hinaus, raus aus dem Schloss, raus aus der Welt, raus aus der Höhle und raus aus dem Hunnengraben.

Ich hatte meine Aufgabe erledigt und wurde nicht aus dem Dorf verbannt, und dazu hatte ich noch eine schöne Frau gefunden, die vielleicht ja auch meine Frau werden würde.
 




Envoyé: 07:53 Tue, 28 March 2017 par: Kohl Joshua