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Peter Vanessa

Der Mann der weißen Rosen



Es ist schon spät abends. Die Sonne geht unter und taucht das kleine Haus mit seinem Vorgarten in die erste Dunkelheit. Ein älterer Mann kommt mit einer kleinen Laterne aus der Haustür. Er schließt sie geräuschlos hinter sich. Er begibt sich in seinen Vorgarten. Der Vorgarten glänzt nur so von weißen Rosen. Der Mann nimmt sich die gefüllte Gießkanne. Er gießt jede einzelne weiße Rose voller Liebe. Plötzlich nimmt er etwas Glitzerndes am Boden zwischen den Rosen wahr. Er stellt die Gießkanne nieder und geht vorsichtig und unverletzt durch die Rosen. Er kniet sich langsam nieder und greift nach dem glitzernden Etwas. Als er sich wieder erhebt, betrachtet er genauer, was er da gefunden hat: eine silberne Kette und daran ein Medaillon. Bezaubert von der Schönheit dieser Kette öffnet er das Medaillon, ohne weiter darüber nachzudenken, dass er noch immer inmitten der weißen Rosen steht. Im Medaillon findet der ältere Mann ein kleines zusammengefaltetes Blatt. Hektisch faltet er es auseinander. Und liest, was mit einer geschwungenen Schrift dort steht.


Du musst lernen mich zu lieben. Deine weißen Rosen bringen dich zu mir. Zu meinen roten Rosen.
Jetzt!

Dann entfalten sich die Blüten der glänzenden, unschuldigen weißen Rosen. Und schnappen zu. Sie nehmen ihn einfach in sich auf. So schnell, dass er weder den kleinen Zeh bewegen, noch einen weiteren Gedanken fassen konnte. So plötzlich, wie es begonnen hat, war es auch schon wieder vorbei. Er hat die Augen geschlossen. Er fühlt eine leicht feuchte, frische Erde unter sich. In seiner linken Hand hält er noch immer die silberne Kette. Und unter seiner rechten Hand fühlt er das Blütenblatt einer Rose. Aber diese Blüte fühlt sich anders an als die Blüten seiner weißen Rosen und doch kommt sie ihm bekannt vor. Er öffnet erschrocken die Augen und blickt in seine rechte Hand: eine rote Blüte. Er richtet sich so schnell auf, wie er kann und blickt sich um. Er befindet sich auf einer kleinen Lichtung in einem Wald. Vor ihm ein kleines Haus, alles sieht so aus wie bei ihm. Nur eines ist anders: er steht mittendrin in einem Meer von roten Rosen. Er schreit und schreit. Er lässt sich auf die Knie fallen. Und schreit weiter. All die Jahre hasste er sie und er hasst sie noch immer. Er hasst sie und ihre roten Rosen. Rot ist eine grässliche Farbe für Rosen. Rosen sollten weiß sein. Er hasste sie zutiefst. Doch sie begann immer mehr für ihn zu empfinden. Sie liebte ihn, doch er hasste sie weiterhin. Dann wurde er von ihr ans andere Ende der Welt verbannt. Jedoch besaß er noch drei weiße Rosen, die er pflanzte und daraus wurden immer mehr. Dort lebte er ruhig, aber wieso ist er jetzt hier? Wieso ist er ein weiteres Mal in seiner persönlichen Hölle gelandet? Die Tür des kleinen Hauses wird aufgestoßen. Und erhobenen Hauptes kommt sie heraus. Die Frau der roten Rosen. Denn sie hat noch ihre Rache der Liebe zu vollenden. Ihre Liebe, die er nie erwidert hat. Er schreit ein letztes Mal.




Envoyé: 11:58 Wed, 1 April 2015 par: Peter Vanessa