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Katharina Wurzer

Digitales Herz



Mitternacht vorbei. Du sitzt vor dem Laptop, aufrecht in deinem Bett, den Blick auf den Bildschirm gebannt. Gebannt sind auch die Viren, während du dich von einer Gefahr des Tagesgeschehen zur nächsten klickst.
Das Ticken der Uhr im Ohr und dich wundernd, wie man für Naturkatastrophen, Armut, Gewalt oder politischen Hick-Hack überhaupt so schöne Worte finden kann. Worte, die auf der Nasenspitze tanzen. Sie springen dir entgegen, verfolgen dich mit ihren Spielen, bis du übersättigt bist und nichts mehr hören kannst.
Du kannst nicht einfach ein paar Dinge recherchieren, ohne zugleich deine E-Mails abzurufen; stets abrufbereit, Zeichen der Anerkennung entgegenzunehmen. Mit lehrenden Worten im Gepäck, deren Leere du nicht fühlen willst. Du könntest und solltest so vieles, da passt dir dieses Wollen nun mal nicht ins Konzept. In deine aneinandergereihten To-Do-Listen, die du täglich erweiterst und neu anordnest. Das Leben als dauerhafter Entwurf, der nicht abgespeichert wird.
Zwischendurch hörst du Musik, postest irgendeinen Artikel auf Facebook und freust dich, dass dich zur Abwechslung keine Veranstaltungseinladung interessiert. Du hast dich an diesen Rausch aus Hintergrundinformationen bereits gewöhnt, er macht dir weniger Angst als das Gefühls-Wirrwarr gewöhnlicher Menschen. Und du hast dauernd Angst.
Furcht, hinterherzutaumeln; Furcht, ein Sozialfall zu werden; Furcht vor Langeweile und der daraus resultierenden Folge, deinen eigenen Gedanken ausgesetzt zu sein. Du verausgabst dich, damit Ausgaben keine Rolle spielen müssen.
Deine eigene Rolle kennst du nicht mehr. Du weisst nicht, was es heisst, glücklich zu sein und ob du das angesichts der jetzigen Lebensbedingungen überhaupt sein darfst. Bedingungen, die in dir walten und dich verwalten. Du weisst nicht, woran du dich festhalten sollst. Bildung und politische Aktivitäten sind dein Anker in einem Meer aus fremden Gesichtern. Du überlegst, wann du das letzte Mal gelächelt hast, vielleicht für ein Foto. Durchgezappt, ohne auf Details zu achten. Ob du dich eigentlich selbst achtest?
Deine Achtsamkeit verschwand mit dem letzten grossen Liebeskummer. Du hast dir geschworen, niemanden mehr an dich ranzulassen, Verliebtheit nicht zuzulassen. Aus Schutz vor Verletzungen und nächtelangem Durchheulen, von dem der Verursacher keine Ahnung hat.
Ahnungslos schreibst du Texte über Liebe und andere gesellschaftliche Probleme. Du stellst sie auf deinen Blog; stolz darauf, dich der zunehmenden Digitalisierung nicht zu entziehen. Entzugserscheinungen bei Netzausfall inklusive, auf die du weniger stolz bist.
Ein Strom, der dich davon abhält, wie andere die Fassung zu verlieren. Ein weiterer Klick, bevor dich etwas gar noch fesselt, obwohl dein Schlüssel doch stecken geblieben ist. In einer Warteschleife, die sich nicht so leicht wegtherapieren lässt.
Du schweigst über das Wesentliche, weil du vor lauter Schreien über deine innere Leere heiser geworden bist. Du erkennst den Sinn dahinter nicht; du erkennst es einfach nicht, wenn dich jemand ohne Leistung mag. Wenn du von einer Bewusstlosigkeit in die nächste gleitest, ohne irgendwo festzukleben.
Verwoben in der Freiheit des Netzes, bemüht um Ausgewogenheit und deine Stimme zu erheben. Erhobenen Hauptes, eiskalten Herzes. Die Tränen, die niemand sehen darf, weil du doch so eine starke Persönlichkeit bist, weil du dir dieses Ausgelaugt- und Zerquetscht-Sein nicht erlauben sollst.
Die Knopfdrücke, die du anwendest, um deine Bedürfnisse abzudecken. Wie eine Wand, die dir ständig selbst im Weg steht oder dein ökologischer Fussabdruck, für dessen Grösse du dich zu rechtfertigen hast.
Zertreten sind die Latschen, weil sie mit deiner Geschwindigkeit nicht mithalten konnten. Zu viele Tritte im Herzen, weshalb du den Zugang Dritten verwehrst.
Du weisst nicht, wie und warum du dich wehren sollst, was das alles hier noch bringen soll, wieso du mit systeminternen Mitteln genau dieses zu zerstören versuchst. Und wieso blosse Versuche selten reichen.
Doch es reicht schon längst, obwohl du es dir nicht eingestehst.
 



Envoyé: 07:49 Tue, 31 March 2015 par: Katharina Wurzer