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Wolter  Chiara

Sturmrausch



Der Wind zerrte an ihrem Kleid, streifte ihre zerbrechlichen, nackten Schultern, umschmiegte sie behutsam und drohte zugleich sie unbarmherzig zu erdrücken. Ein kühler Windhauch, dachte sie. Doch die groβen Eschen verbeugten sich vor ihrem Peiniger, die knochigen Ausläufe des altersschwachen Baumes aufbäumend gen Himmel gereckt. Ein Luftstrom, erfüllt von Zorn und Leichtigkeit. Er zog sie in eine gnadenlose Umarmung, lieβ sie ihre Wurzeln vergessen, bis sie schlieβlich in stummer Ergebenheit, ihre Niederlage eingestehend, vor ihm auf die Knie sanken. Sie keuchten und ächzten. Ein kühler Windhauch, dachte sie wieder. Der Stoff ihres luftigen Sommerkleides schmiegte sich an ihren Körper, gleich einer ummantelnden Hülle. Das Brausen füllte alles aus, gab ihren Gedanken keinen Raum, keinen Platz zum Ausbreiten. Es schien ihr zuzuflüstern, zuzuhauchen. Leise lächelnd schloss sie die Augen, sog das stürmische Schauspiel in sich auf, lieβ die Macht dieser Naturgewalt in ihre Venen flieβen. Ein Prickeln, das sich vom Mittelpunkt ihres Körpers in alle Richtungen ausdehnte. Als es die Grenzen ihres menschlichen Umrisses erreichte, streckte es sich aus; griff nach den im Wind wiegenden Grashalmen und strömte in die Erde hinein. Flatternd öffneten sich ihre Augen. Mit leerem Blick schwirrten sie erst rastlos umher, fixierten dann einen fernen, unkenntlichen Punkt und kamen zur Ruhe. Ihre Mundwinkel zuckten sanft; überlegen. Von einer erhabenen Würde ergriffen wandte sie sich ab. Ihren geschmeidigen Körper von Stärke und Macht gestreckt, das Haupt hoch erhoben und die weiche, feuchte Erde unter ihren nackten βen spürend ging sie ins Dunkel der Nacht davon. Es wehte nicht der leiseste Windhauch. 


 




Envoyé: 23:49 Thu, 14 March 2019 par: Wolter  Chiara