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Bertemes Lara

Die Hoffnung




Die Hoffnung


Der Schweiß läuft mir von der Stirn. Es sollte nach Triumph, nach Sieg, sogar besser noch, es sollte nach Freiheit riechen. Stattdessen rieche ich Schweiß und den strengen Geruch von Fisch. Meine Kleider sind noch etwas feucht. Am liebsten würde ich diesem Gestank entfliehen. Doch irgendwas hält mich zurück. Ich schaue auf das weite Meer hinaus, es scheint so unendlich, es ist so warm, doch das Blau erscheint mir so kalt. Seit Tagen habe ich nur dieses blaue oder dreckige Wasser gesehen und trotzdem schaffe ich es nicht, meinen Blick davon abzuwenden. Ich lasse meinen Blick ständig über das Wasser schweifen, in der Hoffnung etwas zu entdecken. Seit Stunden schon, doch vergebens.
Heute scheint es so friedlich, so unberührt, so unschuldig. Es versteckt sich hinter einer Fassade, die jeden Moment droht aufzufliegen. Denn ich kenne es anders, ich weiß, dass es eine Verkleidung ist. Ich kenne seine Geheimnisse, ich weiß was das Meer verbrochen hat, was es gemacht hat. Ich kann mich einfach nicht vom Meer wegdrehen, ich kann es nicht einfach so hinter mir lassen. Denn wenn ich es hinter mir lasse, dann verlasse ich es nicht nur, ich verlasse viel mehr. Also beobachte ich es, ich schaue ganz genau hin. Über der glänzenden und geheimnisvollen Fassade des Wassers sehe ich Wolken aufziehen. Große, schwarze, dunkele, drohende Wolken, die mich daran hindern werden, meinen Weg fortzuführen. Ich darf jedoch nicht aufgeben. Die Tränen fließen an meinen Wangen herab und meine Sicht ist verschwommen. 
Plötzlich sehe ich im Meereswasser etwas schwimmen. Es ist schwer zu erkennen. Das Licht der untergehenden Sonne erschwert mir die Sicht. Doch dann drücken sich die bedrohlich aussehenden Wolken vor die untergehende Sonne. Ich reibe mir die Tränen aus den Augen und schaue noch einmal ins Wasser. Jetzt sehe ich es. Mein Herz bleibt stehen, mein Atem stockt. Ich bebe wie ein Vulkan kurz vor seinem Ausbruch. Doch ich reiße meine noch verbliebene Kraft zusammen und werfe mich ins Wasser. Ich schwimme zu der im Wasser liegenden Gestalt. Ich schwimme und schwimme und ich komme näher und näher. Dann ist es so weit. Meine Ängste haben sich bestätigt oder kann man es noch Hoffnungen nennen? Ich werfe meine Arme um den im Wasser schwimmenden Körper. Ich schwimme mit ihm zum Ufer und ziehe den Körper an Land. Ich kann nicht mehr, ich breche zusammen. Es gibt nichts an dem ich mich stützen kann, nichts und niemanden mehr. Langsam wird alles dunkler, schwarz, pechschwarz.
Ich bin umgeben von etwas Weichem, als ich aufwache. Ich fühle nichts als Leere. Das einzige was mich seit meinem Erwachen verfolgt, ist die Dunkelheit. Das dunkle böse Meer, das Monster, das alles verschlungen hat. Alles, was ich hatte, wollte und nicht mehr habe. Die Augen des toten Körpers, den ich mit meiner letzten Kraft herausgezogen habe. Der bleiche Körper, der Körper der einst warm war und nun so kalt ist, der Körper, dessen Augen einst offen waren und nun geschlossen sind, der Körper, dessen Haut so wunderschön gebräunt war und nun so bleich ist. Dieser Körper war einst bewohnt, bewohnt von einer Seele, einer wundervollen Seele, der einer Mutter. Allein verlassen liege ich hier in diesem Bett. Wieso kann sie nicht neben mir liegen? Wieso können sie nicht alle hier sein? Mein kleines Brüderchen, mein Vater und Achmed. Ach Achmed. Wieso bin ich hier und sie nicht? Wie kann das böse Meer es nur wagen, sie zu verschlingen und mich allein zurückzulassen. Wieso habe ich sie nicht gerettet? Wieso habe ich nur an mich gedacht? Ich erinnere mich, ich erinnere mich an das Boot. Das Boot war überfüllt mit Menschen. Aber vor allem war es überfüllt mit Hoffnung, Hoffnung, die zu Hause verloren war, die zu Hause keinen Platz mehr gefunden hatte. Ach, wie konnten wir uns nur auf diesen Mann einlassen, einen Lügner und Betrüger?! Er hatte doch versprochen, uns in Sicherheit zu bringen, dass das Boot ankommen würde in Europa, im sicheren Europa, er sagte doch, die würden uns empfangen. 
Lange haben meine Eltern gezögert, lange haben sie zu Hause auf Frieden gehofft, lange haben sie auf Hilfe gewartet, das fünf Jahre, genau fünf Jahre lang. Sie haben geduldig gehofft. Fünf Jahre lang haben wir gezittert, fünf Jahre, wussten wir, dass es uns bald treffen würde. Wir fürchteten uns so und mein Brüderchen, er weinte, als er die Explosion hörte. Wir alle hörten sie. Es war ein Knall, ein betäubender Knall, die ganze Erde erzitterte. Als erstes traf es die Schule, dann die Nachbarstraße und dann unsere Nachbarn. Wir? Wir blieben verschont, man gab uns noch eine Chance. Wir nahmen sie. Und wie es scheint, ist sie misslungen. Nur noch ich bin da, ich bin die einzige, allein hier und jetzt. Dabei wollten wir nichts Böses, wir wollten nur unser Leben zurück.

 




Envoyé: 07:07 Sat, 26 March 2016 par: Bertemes Lara