Der Schatten

Der Schatten

Der Schatten macht ihr Angst, engt sie ein, doch sie kommt nicht dagegen an. Er ist immer da, greift nach ihr, wenn die Versuchung wieder mal zu groß wird. Legt warnend die schwere Hand auf ihre zerbrechliche Schulter, ermahnt sie, schimpft sie. Er ist zu ihrem ständigen Begleiter geworden, beherrscht ihre Gedanken und nur vereinzelte Lichtblicke an eine Zeit vor dem Schatten erhellen ihr Gesicht. Es macht ihr Angst, aber sie kann es nicht ändern, jeder Fluchtversuch zum Scheitern verurteilt. Sie schreit, sie weint, doch das beeindruckt den Schatten nicht. Er hält sie weiter gefangen, bindet sie fester an sich, ist nicht bereit sie gehen zu lassen. In den Fängen des Schattens wird sie immer schwächer, bis sich zu wehren unmöglich wird. Und übrig bleibt nur die Angst, die Angst und der Schatten.

Es zerreißt sie, der ewige Kampf zwingt ihren schwachen Körper in die Knie. Ständig wird sie hin und her gezerrt, der Schatten auf der einen, ihr Verstand auf der anderen Seite, bis sie nicht mehr kann und aufgibt. So oft versucht sie es, kämpft dagegen an, aber da ist keine Kraft mehr. Und wieder einmal gewinnt der große Schatten, lacht kehlig während leise Tränen ihr Gesicht hinunterfallen. Und immer öfter lässt sie den Schatten einfach gewinnen, denn er ist stärker, so viel stärker als sie.

Jeder Bissen schmerzt, sie fühlt den dicken Klumpen in ihrem Bauch, die schwere Hand des Schattens auf ihrer Schulter. Lächelt in die erwartungsvollen Gesichter, während sich in ihrem Inneren alles zusammenzieht, der Schatten sie ausschimpft. Übelkeit macht sich breit, am liebsten würde sie weglaufen, weit weg von den lächelnden Gesichtern aber vor allem vor dem was dort vor ihr liegt. Während alle um sie herum spaßend Lachen wird sie immer ruhiger, der Schatten hat sie am Hals gepackt, kein Ton kommt mehr über ihre Lippen, kein Bissen bekommt sie mehr hinuntergeschluckt. Irgendwann endlich ist es vorbei, sie schiebt ihren Teller weg, weit weg, bevor sie sich erhebt, wie ferngesteuert verschwindet, der Schatten immer hinterher.

Wieder Mal liegt sie allein in ihrem dunklen Zimmer, zittrige Tränen fallen auf die weiche Bettdecke, alles in ihr zieht sich schmerzhaft zusammen. Der Schatten liegt neben ihr streichelt sanft über ihren Rücken, lobt sie. Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf das von Angst gezeichnete Gesicht. Stolz nimmt der Schatten ihre Hand, sie hat es geschafft. Er zieht sie in eine tröstende Umarmung, drückt viel zu fest zu, zieht sie noch fester an sich.

 

 



news created by Lisa Völkening: 24.09.2021