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Kisch Raquel

(UN)SOCIAL MEDIA or the consumption of empty promises

Un jour tu t’achètes, un jour tu aimes
Un jour tu jettes, mais un jour tu payes
Un jour tu verras, on s’aimera
Mais avant on crèvera tous comme des rats
– Carmen, Stromae, 2015

Un jour tu jettes, mais un jour tu payes (@xoxo.miss.kittyinthecity)
Das erste Kleidungsstück, das Kitty sich vor den Körper hielt, stank noch nach der 
Plastikverpackung vom Billigversand, der sie sponsorte. Sie verzog die üppig geschminkten Lippen 
zu einem breiten Lächeln, während sie den Stoff in die Kamera des neusten Smartphone-Modells 
hielt und ihr Blick sich beinahe ganz von selbst zur Zuschaueranzahl des Livestreams bewegte. Nur 
achtzehntausend Zuschauer? Dabei hatte ihr Kanal xoxo.miss.kittyinthecity mittlerweile doch weit 
mehr als eine Million Abonnenten. 
Gespielt fröhlich hielt sie das billige Stück Stoff in die hochauflösende Kamera ihres Smartphones, 
das sich auf der Website des Billigversands als Kleid schimpfte. Eine absolute Frechheit. Was sollte 
sie mit einem Kleid anfangen, an dem zwar an sich nichts auszusetzen war außer dessen 
grenzenlose Hässlichkeit? Natürlich hatte sie weder den lächerlichen Preis von 4,99 Euro bezahlt, 
noch den Versand, aber wen kümmerte so etwas schon? Wenn dieser Haul nicht mindestens 
zwanzigtausend Zuschauer brachte, war das Kleidungsstück nur für die Tonne geeignet.
Ein Sticker ploppte auf dem Bildschirm auf und sie beugte sich ein wenig nach vorn. Irgend so ein 
armes Schwein hatte ihr eine Spende geschickt. Als ob sie das nötig hätte. Sie warf ihre langen, 
hellbraunen Haare zurück und zwang sich zu einem Lächeln.
»Oh mein Gott, danke Mausi du«, säuselte sie, bevor sie sich zurücklehnte und das blöde Kleid 
wieder in die Kamera hielt.
»Wenn ihr das Kleid noch heute bestellt Leute, gibt’s einen Rabatt. Ihr braucht nur meinen Code, 
misskitty25, bei der nächsten Bestellung zu benutzen, dann kostet diese Schönheit nur noch ein 1 
Euro. Lasst euch das Schnäppchen auf keinen Fall entgehen. Ein absoluets Must-Have«, flötete sie 
übertrieben fröhlich. Ihre Follower merkten den Unterschied zwischen echten Emotionen und dem 
ganzen gespielten Theater sowieso schon lange nicht mehr.
Mit einem letzten übertrieben Kussmund winkte sie in die Kamera und beendete den Livestream. 
Kaum war sie den neugierigen Blicken der Leute vor dem Bildschirm entflohen, verdrehte sie die 
Augen. Ihr Social Media Assistent, der sie mit einem gelangweilten Blick bedachte, trat einen 
Schritt vor und knipste die unangenehm grelle Hintergrundbeleuchtung für den Stream aus.
»Mein Gott, die sind alle so dermaßen blöd«, sagte Kitty. Die Nase gerümpft tippte sie auf ihr 
Profil, scrollte durch die neuen Kommentare, die vor Herz- und Kussemojis überquollen und sie mit 
Lob überhäuften.
Das billige Kleid hatte achtlos sie auf den Boden fallen gelassen. Die Plastikverpackung davon lag 
immer noch auf dem weissen Achttausend-Euro-Teppich, den sie so bald wie möglich loswerden 
wollte. Er lag jetzt schon seit einer Woche in der Luxusvilla auf Bali und langweilte sie mit jedem 
Blick mehr.
Der Social Media Assistent bückte sich, hob das Kleid und die Plastikverpackung auf und sah Kitty 
fragend an. »Was soll ich hiermit machen?«
Kitty drehte sich wieder zu ihm um. Sie war bereits auf dem Weg nach unten gewesen, um die 
nächste Lieferung ihres Sponsors anzunehmen, die ihr ein paar Einheimische immer hochbrachten. 
Wie Kinder freuten sie sich über den mickrigen Lohn, den sie ihnen dabei in die Hand drückte. Wie 
konnte jemand bloß so tief gesunken sein? So arm sein? Sie würde sich schämen. Bloß gut, dass das 
sie nicht betraf. Ihr Konto quoll über vor Geld, das sie genauso schnell für alle möglichen Dinge 
ausgab, wie sie es verdiente, nur um sie nach ein paar Wochen und Tagen zu ersetzen. Was 
kümmerte es sie schon, wie es den anderen ging.
Abschätzig schaute sie das billige Kleid in den Händen ihres Social Media Assistents an. Das 
Preisschild baumelte sogar noch daran. Mit ihrer manikürten Hand wedelte Kitty, als wolle sie eine 
lästige Stechmücke vertreiben. Tat sie ja auch gewissermaßen.
»Schmeiß es in den Müll.«
Der Assistent nickte und hob die restlichen Kleidungsstücke auf. Die Hälfte davon war noch 
eingepackt. »Und die hier?«
»Die können auch weg«, antwortete Kitty, bevor sie sich wieder umdrehte und zur Tür der Villa 
ging. Gerade waren die Food Challenges wieder im Trend. Ihr Manager hatte vor ein paar Tagen 
gemeint, sie könne ja mal 100 Orangen zu Orangensaft pressen lassen und an eine Handvoll Kinder 
der Einheimischen verteilen. Das generierte Klicks und Sympathie bei ihren Followern. Und den 
übrig geblieben Saft konnten sie danach einfach wegschütten.


Un jour tu verras, on s’aimera (@robertg.q054dj271584kjg)
Er kannte sie. 
Kitty, mit bürgerlichem Namen Katharina Richter, geboren 2005 in Niedersachsen. Zwei Brüder, 
die Mutter war Floristin, der Vater Steuerberater. Sie hatte das Geschwister-Scholl-Gymnasium 
besucht; ihr jüngerer Bruder spielte Fußball im Jugendverein. Sie selbst hatte während ihrer 
Schulzeit Handball im Mädchenteam gespielt. Sogar ihre Adresse kannte er, von der 
Telefonnummer ganz zu schweigen. Sie joggte jeden Tag von Acht bis Neun. Für gewöhnlich legte 
sie sich um Zehn ins Bett und stand um Sieben auf. Über ihren Familien- und Freundeskreis war er 
sogar besser informiert, als über seinen eigene.
Und das nur, weil sie freiwillig jeden Augenblick ihres Lebens mit ihren Millionen Follower teilte.
Er bekam gar nicht mit, wie die Straßenbahn ruckelte. Wenn man ihn gefragt hätte, welches Wetter 
gerade draussen herrschte, hätte er nur unwirsch mit den Schultern zucken können. Viel wichtiger 
war Kitty, die sich gerade im Livestream verabschiedete. Etwas ungehalten tippte er auf dem 
Bildschirm rum, als ein kleiner weißer Text erschien. Der Livestream ist leider beendet. Ohne die 
anderen Fahrgäste zu beachten, besuchte er Kittys Account. Er kannte jedes ihrer kurzen Videos 
auswendig, hatte er sie doch alle akribisch nach neuen Informationen über sie durchforstet. Ein 
kurzes Lachen, womit er einen schrägen Blick der alten Frau neben ihm kassierte, kam aus seiner 
Kehle.
Die sozialen Medien, wo die Leute glaubten, sie wären anonym. Dabei gaben sie dort so viel von 
sich preis, dass es ausreichen würde, um ihr gesamtes Leben und ihre Identität mit einer Malware 
auszulöschen. Ein winziger, unschuldiger Code, der eine Existenz zerstören konnte. Ein Screenshot, 
entweder echt oder mit einer KI zusammengestellt. Wieder lachte er. Die alte Dame stand auf, setzte 
sich neben einen geölten Anzugträger in der gegenüberliegenden Sitzreihe der Straßenbahn.
Es war so leicht, dass es beinahe schon ironisch war. Das Internet, die sozialen Medien waren eine 
Tribüne, auf der jeder im Scheinwerferlicht stehen konnte, um sich wie der Mittelpunkt, der Nabel 
der Welt zu fühlen.
Und für manche ihrer Follower waren sie auch der Mittelpunkt des Lebens. Fremde Menschen, die 
sie besser kannten, als ihre Freunde oder Familie. Mit diesem Gedanken widmete er sich wieder 
Kittys Account und scrollte durch ihre Videos. 


Un jour tu t’achètes, un jour tu aimes (@kellermark1982)
Erst das Lachen seines Gegenübers ließ Mark aufschauen. Der Kerl mit dem quadratischen Gesicht 
sah unauffällig aus und wäre es auch gewesen, hätte er nicht vor sich hin gelacht, als wäre ihm 
gerade der beste Witz aller Zeiten erzählt worden.
Mark war alles andere als zum Lachen zumute. Er kam gerade vom Arzt zurück. Die dunklen 
Regenwolken schienen seine Stimmung perfekt wiederzuspiegeln. Kurz überlegte er, ob er sein 
Smartphone zücken sollte, um den Anblick einzufangen. Vielleicht konnte ihm das als Hintergrund 
für seine Story dienen. #thefightisnotover.
Mit schweißnassen Händen fuhr Mark sich durch das Gesicht. Der Kerl gegenüber lachte wieder 
vor sich hin und die alte Frau neben ihm stand auf, um sich neben Mark zu setzen.
Sie wollte ein Gespräch beginnen, aber Mark wandte sich ab und öffnete stattdessen die App auf 
seinem Smartphone, in der er mehr als 1500 Freunde hatte. Vielleicht konnten die ihm helfen. 
Immerhin kannte er sie jetzt seit Jahren. Gesehen hatte er sie zwar nie, manche wohnten gar nicht 
hierzulande, aber die Freundschaften, die sich geformt hatten, waren echt. Dass ein Bildschirm die 
menschliche Interaktion trennte war Mark egal.
Er hatte noch nie so viele Freunde gehabt. Gerne hätte er sich mal auf ein Bier mit ihnen getroffen, 
aber das konnte er nun sowieso vergessen. Lungenkrebs, drittes Stadium. Der Arzt hatte wenig 
Hoffnung auf eine Genesung, da Mark schon seit Jahren Kettenraucher war.
In seinem Status und seiner Story postete er die Neuigkeit und wartete. Immer mehr seiner Freunde 
schauten die Story und seinen Status und schickten ihm Genesungswünsche. Mark hob den Kopf 
und überlegte, ob er seine Freunde um Hilfe bitten sollte. Die Behandlung würde hart werden. 
Chemotherapie, Bestrahlung, die ständigen Nachuntersuchungen im Krankenhaus… 
Mark beschloss, eine zweite Story zu posten. Er hatte ja 1500 Freunde, da fand sich bestimmt einer, 
der ihm unter die Arme greifen konnte.
Von manchen bekam er direkt eine Absage. Die anderen, von denen er gehofft hatte, sie würden auf 
die zweite Story oder seinen aktualisierten Status reagieren, begegneten ihm nur mit eiserner 
Funkstille. Langsam fraß sich Verzweiflung in seine Brust.
Seine Follower waren doch seine Freunde. Sie hatten sich so häufig geschrieben, ihre Beiträge 
gegenseitig geliket. Manchmal hatten sie auch Kommentare unter den geposteten Fotos 
hinterlassen. Wieso zum Teufel half ihm denn nun niemand von seinen Freunden, wenn er die Hilfe 
wirklich nötig hatte?
Erst als Mark aus der Straßenbahn stieg, um nachhause zu eilen und dabei ein etwa 
fünfzehnjähriges Mädchen umstieß, deren Augen geradezu am Bildschirm klebten, wurde ihm sein 
Fehler bewusst.
Er hatte Follower mit Freunden verwechselt. Am Ende waren die Likes und die Follower doch nur 
das vorgeheuchelte, gekaufte Interesse von Fremden an ihm und seinem Leben, die alle hinter ihren 
Smartphones hockten und später in ihren eigenen Alltag zurückkehrten. In Wahrheit war er 
schlussendlich selbst mit 1500 „Freunden“ (Follower) alleine.


Mais j’en connais déjà les dangers, moi (@oldmoney_zoe)
Das erste, was Zoe am Morgen tat, war, ihr Smartphone in die Hand zu nehmen. Den Tag anders zu 
beginnen war für sie komplett unmöglich. Und es kam ihr auch überhaupt nicht in den Sinn. Sie tat 
das ja, um informiert zu bleiben. Es machte Spaß und natürlich hatten alle ihre Freunde auch Social 
Media. Anders konnte sie doch gar nicht mit ihnen in Kontakt bleiben, oder?
Zuerst checkte sie die Feeds ihrer fünf verschiedenen sozialen Netzwerke. Likte, kommentierte, 
folgte. Dafür brauchte sie mindestens eine halbe Stunde. Daher tippte sie selbst im Bad vor dem 
Spiegel auf dem Bildschirm rum oder scrollte durch die kurzen, 60-Sekunden Videos, während sie 
ihre Zähne putzte. Frühstücken tat sie dadurch schon lange nicht mehr. Dafür hatte sie einfach keine 
Zeit. 
Sie schaute sich die Klamotten-Hauls von kittyinthecity an, lauschte den Wahrheiten über alles 
Mögliche, die Teenager in ihrem Alter auf ihrem Bildschirm erzählten und damit Tausende von 
Views bekamen. Ob die Fakten mit Quellen belegt werden konnten, fragte Zoe sich dabei nicht 
mehr. Wenn sie auf den Netzwerken hochgeladen wurden, waren sie bestimmt vom Support geprüft, 
oder?
Vom Schulweg in der Straßenbahn bekam sie auch schon lange nichts mehr wirklich mit. Nur 
manchmal hob sie den Kopf, um aus dem Fenster zu schauen und war jedes Mal überrascht, wie 
sehr sich die Landschaft doch verändert hatte. Sie senkte den Blick wieder auf den Bildschirm und 
scrollte weiter. Ein süßes Katzenvideo, ein Kerl, der furzte und damit eine quackende Gans 
nachahmte, ein Mädchen in ihrem Alter, das behauptete, Mommy und Daddy Issues wären eine 
Ästehtik, niedliche Welpen, die im Garten tollten, jemand der heimlich einen Mann gefilmt hatte, 
der ausrutschte und hinfiel, … 
Beinahe hätte Zoe ihre Haltestelle verpasst und wurde beim Aussteigen von einem Mann in einem 
schicken Anzug umgeworfen.
In der Schule hatten sie die Deutschprüfung der letzten Woche zurückbekommen. Mit einem Blick 
auf die rote Schrift in der rechten oberen Ecke hatte Zoe ihre Note gesehen. 22/60 Punkte. Damit 
lag ihr Durchschnitt bei 24 Punkten. Wenn es so weiter ging, würde sie das Jahr nicht schaffen.
Ihre Eltern wären davon alles andere als begeistert. 
Seit Monaten wurden ihre Leistungen in der Schule schlechter und schlechter. Aber beim Lernen 
wurde sie ständig von den Benachrichtigungen der fünf verschiedenen sozialen Netzwerke 
abgelenkt und in den Klassenarbeiten konnte sie sich nicht länger als 10 Minuten konzentrieren. 
Abgesehen von den Fakten in den kurzen Videos, die sie wie ein Schwamm aufsaugte, konnte sie 
sich nur noch wenig merken, vom Schulstoff ganz zu schweigen. 
Ihre Eltern sagten ihr bereits jeden Tag, dass sie viel zu viel Zeit auf den sozialen Netzwerken 
verbrachte. Dabei waren es doch nur 5 Stunden. Oder ein wenig mehr. Aber sicher nicht mehr als 6. 
Sie hatte es vollkommen unter Kontrolle. Nie würde sie so eine Person werden, die den ganzen Tag 
hinter einem Bildschirm hockte und einsam verkümmerte. 
Zuhause beim Essen baten ihre Mutter und ihr Vater sie, das Smartphone doch endlich wegzulegen. 
Widerwillig drehte Zoe es um und stocherte in ihrem Essen rum.
»Wir haben deine Note in Deutsch gesehen-«, begann ihre Mutter behutsam. Innerlich stöhnte Zoe.
»Das kann so nicht weitergehen. Du stehst in jedem Fach auf der Kippe, von Mathe und Englisch 
mal abgesehen, wo dein Durchschnitt unter 15 liegt«, unterbrach ihr Vater sie.
»Wir wollen, dass du diese sozialen Netzwerke löschst, wenigstens bis sich deine Noten wieder 
etwas verbessert haben«, sagte ihre Mutter. Bittend schaute sie Zoe an. »Du verbringst Stunden am 
Handy. Das ist nicht gut und kann gefährlich werden. Eine Sucht. Wir wissen ja nicht einmal, was 
du dir genau dabei ansiehst.«
Wütend knallte Zoe das Besteck auf den Tisch.
»Ich kenne die Gefahren von Social Media sehr gut. Und Social Media ist nicht das Problem. Ich 
muss nur eine bessere Lernmethode finden. Außerdem kann ich Social Media nicht löschen. Da sind 
alle meine Freunde.«
In ihrem Zimmer öffnete Zoe die App und tippte »how to study more effective« ein. 
Social Media war nicht das Problem. Sie war nicht süchtig danach. 
Sie hatte es vollkommen unter Kontrolle.

Et puis chacun pour soi et c’est comme ça qu’on s’aime (@life_tips_help)
Ein Like bei seinem neuen Video »how to study more effective« ploppte auf dem Bildschirm auf. 
Das blaue Licht des Smartphones und der flimmernde Bildschirm des PCs war die einzige 
Lichtquelle im Zimmer, das er seit Monaten schon nicht mehr durchgelüftet hatte und dessen 
Fensterrolladen mindestens ebenso lange heruntergelassen waren. Seit seine Ehe zu Bruch 
gegangen war.
Er stand auf. Dabei knackten seine Knochen. Und das mit gerade erst 28 Jahren. In der Küche 
wärmte er sich ein Fertiggericht auf. Zu etwas anderem reichte seine Kraft nicht mehr.
Klinische Depressionen. Das hatte sein Psychologe nach der Scheidung gemeint. Das Einzige, was 
ihm noch Kraft gab, sie aber gleichzeitg auch wegfraß wie eine Müllpresse, war sein Account, wo 
er mittlerweile 15000 Follower hatte. 
Beinahe ironisch, wie er den Menschen anonym Tipps für alle möglichen Situationen gab, aber ganz 
besonders in Beziehungen. Dabei hatte er seit Monaten mit niemandem mehr gesprochen. Er hatte 
die Wohnung nur fürs Allernötigste verlassen. Manchmal kam er nicht umhin sich zu fragen, wie 
man eigentlich mit Menschen umgeht. Sagte man ihnen einfach Hallo? Oder war das irgendwie 
gruselig, von einem Wildfremden im Supermarkt angequatscht zu werden? Wie sollte man auf die 
Dinge reagieren, die sie sagten? Wenn sie von ihren Leiden und ihren Hobbies erzählten. Wo sollte 
er hinschauen, was sollte er mit seinen Händen tun während einem Gespräch? Für ihn kamen seine 
Mitmenschen einer anderen Spezies gleich.
Wie war man ein sozial kompetentes Wesen? Er hatte es vergessen, bei der ganzen Zeit auf Social 
Media. Eine Ironie der Welt, die vom Konsum geprägt ist.
Dadurch war auch seine Ehe zu Bruch gegangen. Er hatte sich lieber mit dem Leben der Anderen 
hinter den Bildschirmen beschäftigt, als mit Elaine. Liebe, Ehe und Social Media. Aber nur weil er 
eine Menge Zeit mit dem Leben der Anderen verbrachte, hieß das doch nicht, er würde Elaine nicht 
mehr lieben. Er konnte ihr seine Liebe auch auf andere Weise zeigen. Das hatte er zumindest 
gedacht.
Die Schuldgefühle nach der Scheidung, als ihm bewusst geworden war, wieso sie gegangen war, 
hatten ihn noch tiefer in die Isolation und Depression gezogen. So tief, dass er nicht einmal mehr
wusste, wie es war, ein Teil seines eigenen Lebens oder der Welt um ihn herum zu sein außer hinter 
dem Bildschirm, der seine Zuflucht geworden war.

Mais avant on crèvera tous comme des rats (@the.real.ari)
Arianna, auch genannt Ariana, scrollte durch die Videos des Accounts life_tips_help, bevor sie zu 
Kittys Account wechselte. Sie war eine der treuesten Followerinnen von kittyinthecity. Regelmäßig 
schickte sie Kitty Geschenke in ihren Livestreams. Dadurch hoffte sie auch, ihre Aufmerksamkeit 
zu bekommen. Wie sonst sollte sie ebenfalls Influencerin werden?
Vor ein paar Tagen jedoch hatte Kitty einen Shitstorm bekommen. Sie war gecancelled worden, ihre 
Videos hatte sie gelöscht und war auch sonst komplett von der Bildfläche auf allen Plattformen 
verschwunden. Irgendjemand hatte eine alte Sprachnachricht von ihr ausgegraben, wo sie über eine 
andere Influencerin hergezogen war und sich über deren Selbstverletzung lustig gemacht hatte. 
Natürlich hatte Ari sie auch gecancelled. So einen Menschen konnte sie nicht supporten. Aber sie 
fragte sich auch, wie sie sich in Kitty so hatte täuschen können. Die Influencerin war doch immer so 
ehrlich und authentisch gewesen. Das Lächeln in ihren Videos…
Ari wäre eine bessere Influencerin. Echt, nett und berühmt.
Daher war sie auch auf den Account von life_tips_help gestoßen. Dort gab er Tips und Hacks wie 
man schnell berühmt wurde. Erstens: Authentisch sein. Zweitens: Etwas tun, was andere bis jetzt 
noch nicht so getan hatten. Es war eine Versprechung vom schnellen Geld, Fame, Follower, 
Freunde, schicken Häuser, schnittigen Autos, heißen Typen,… Alles, was Ari zum Glücklichsein 
brauchte. Denn das war es ja, was das Leben schlussendlich ausmachte, nicht wahr? 
Auf ihrem Account hatte sie schon 989 Follower, aber es wurden einfach nicht mehr. Daher musste 
sie zu extremeren Mitteln greifen. Und was war schon authentischer, als die neuste Challenge live 
zu machen?
Der Wind spielte mit ihren langen blonden Haaren, während sie durchs Feld lief. Die Nacht hatte 
ihre Spuren hinterlassen, Tautropfen verwandelten das Feld in eine Landschaft wie aus einem 
Märchen. In einiger Entfernung sah Ari bereits ihr Ziel.
Vor Aufregung klapperten ihre Zähne und sie schaute kurz nach links und rechts, die Schienen hoch 
und runter. Kein Zug in Sicht- oder Hörweite. Außer dem Knirschen der Schlacken unter ihren 
Sohlen und ihrem eigenen Atem, der weiße Wölkchen hinterließ, störte nichts die morgendliche 
Ruhe.
Sie öffnete die App und begann einen Livestream. Sie hatte sich die Fahrpläne der Züge ganz genau 
eingeprägt. Ihr blieben ungefähr 14 Minuten bis zum nächsten Personenzug.
Mit einem strahlenden Lächeln trat Ari auf die Gleise, hielt die Kamera hoch und führte ein paar 
Tänze vor, die momentan total im Trend waren. 
Den ersten Zug bekam Ari ganz gut eingeschätzt. Das Herz hämmerte in ihrer Kehle, als sie, 
begleitet von dem ohrenbetäubenden Hupen des Zuges, von den Gleisen sprang. Gerade noch 
rechtzeitig. Der Zugwind bließ ihr die Haare aus dem Gesicht und ein hysterisches Lachen löste 
sich aus ihrem Hals, mit dem auch die ganze Anspannung wich.
»Soll ich es noch einmal machen, Leute?«, fragte sie in die Kamera. Die Zuschauerzahl kletterte 
laufend nach oben und ständig kamen neue Benachrichtigungen. Neue Follower, Geschenke, 
Kommentare.
So funktionierte es also. Ari lächelte. Sie würde berühmt werden, reich und glücklich.
Den nächsten Zug bemerkte sie zu spät. 
In ihrem Livestream waren mehr als 13000 Zuschauer.

Et c’est comme ça qu’on s’aime, comme ça consomme
»Teenager stirbt bei Social Media Challenge«. Das zierte die Titelseite der Zeitschrift, die der Mann
mit der violetten Krawatte heute Morgen beim Kaffee online überflogen hatte. Immerhin hatte die 
Zeitung seine App nicht dafür verantwortlich gemacht. Das wäre auch lächerlich gewesen. Bloß 
weil ein Mädchen zu dumm war, die Distanz zwischen sich und einem Güterzug richtig 
einzuschätzen im Winkel der Kamera ihres Smartphones.
Natürlich hatte der Support den Livestream nicht gestoppt. Dafür war er viel zu gut besucht. Mit 
jedem View, jedem Like, jedem Teilen und jeder Person, die mehr als drei Sekunden im Livestream 
verharrte, verdiente er mehr. Da fiel ein einziges Teenager-Leben nicht ins Gewicht. Die Menschen 
waren eben sensationsgeil. Und je größer die Tragödie, desto mehr Klicks. Mehr Klicks bedeutete 
mehr Geld für ihn.
Er stand auf, lockerte die Krawatte etwas und ließ den Blick aus dem Fenster über die Stadt 
schweifen. Der Kapitalwert seines Unternehmens hatte sich seit dem Tod dieser Ari und dem 
Skandal um Kitty verdoppelt und verdreifacht. Die Aktien an der Börse waren über Nacht in die 
Höhe geschossen, was wiederum mehr Menschen anlockte, sich bei seinem sozialen Netzwerk 
anzumelden, um Teil des Gesprächstoffs zu sein. 
Das ergab mehr persönliche Daten, die er an dubiose Drittanbieter verkaufen konnte. Was die damit 
taten, wusste er nicht und es war ihm auch egal. Jeder User war für ihn sowieso nur eine weitere 
Ware, seine Einnahmequelle in diesem System.
Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen zog er sein Smartphone hervor. Wie gut, dass er bei 
keinem sozialen Netzwerk angemeldet war, nicht einmal bei seinem eigenen. So bereicherte er sich, 
ohne selbst in dieser Hölle von Konsum, Selbstverliebtheit, Sucht und Handel gefangen zu sein.
Er atmete tief ein. Das Leben war schön.




Envoyé: 15:13 Sat, 20 January 2024 par: Kisch Raquel age: 21