Retour

Kutzner Tessy

Risen to a Flood (Songfic)



Sie wussten längst nicht mehr, wie lange sie auf diesem Kampffeld waren. 

Für die einen fühlte es sich an wie einige Tage, andere glaubten schon Monate, wenn nicht Jahre darauf zu leben und sich dem Schicksal ergeben zu müssen. Männer waren zu sehen, soweit das Auge reichte. Keine einzige Frau, deswegen war der Anblick, der sich den Meisten von ihnen offenbarte, ein sehr eigenartiger. 

Der Mann, der sie als Erster erblickt hatte, blieb stehen und schien wie verzaubert von der Schönheit der Frau zu sein. Sie kam ihm wie ein Engel vor. Weißgekleidet, helles, langes Haar und eine elfenhafte Statur. Die Tränen, die stumm aus ihren Augen perlten, wirkten wie kleine Edelsteine und er fragte sich, wie es kam, dass solch ein schönes Wesen lautlos unter so vielen Männern aufgetaucht war. 

Von weitem erklang das Heulen einiger Wölfe und mischte sich in den Lärm des Kampfes. Auch wenn die meisten Umstehenden aufgehört hatten sich gegenseitig zu verletzten oder umzubringen, so war fernab weiterhin das Kampfgeschrei zu hören. Dennoch waren dieser komplett unwirklich klingende Ton eines Wolfes und das Bellen der Hunde sehr eigenartig. 

Wahrlich schien es eher einem Wunder zu gleichen, dass diese Frau im Meer aus Blut und Verderben überhaupt so lange überlebt hatte. Die Kugeln und Messer, die seine Kameraden verletzt oder gerichtet hatten, müssten doch auch ihre zarte Gestalt getroffen haben. Dennoch wies sie keine einzige Verletzung auf. 

Er sah sich um und ließ dann seinen Blick gen Himmel gleiten. Er hatte noch nicht einmal gemerkt, dass die Nacht eingebrochen war. So hell hatte der Mond noch nie geschienen und so nah war er der Erde auch schon lange nicht mehr gewesen. Dennoch erschien es ein wunderbares Phänomen zu sein, denn jeder Lichtstrahl, der auf diese Frau fiel, war atemberaubend.

Einige seiner Kameraden vergaßen weshalb sie überhaupt hier waren und ließen ihre Waffen wortlos fallen. Es wirkte, als forderte die Frau sie stumm mit ihren Tränen auf, die Waffen niederzulegen. Doch er konnte sich auch irren. 

Er blickte genauer auf sie und merkte jetzt erst, dass sich ihr schneeweißes Kleid langsam rot verfärbte und der allgegenwärtige Geruch in seiner Nase unangenehm juckte. Auch wenn er schon lange auf dem Kampffeld war, so konnte er sich an diesen totbringenden roten Geruch nicht gewöhnen. Ihre Haut war fast so weiß wie ihr Kleid, doch sie schien durchscheinender zu sein. Ihre silbrig glänzenden Haare machten den Effekt einer Elfe komplett und sprachlos blickte er auf ihre fein geschnittenen Züge. 

Stumme Tränen rannen noch immer über ihre Wangen und ihre Schultern fingen langsam an zu zittern. Schwermütig fing sie nach einiger Zeit an ein Lied zu singen. Auch wenn er nicht wirklich verstand, um was es darin ging, so flossen bei ihm und einigen der anderen Männer Tränen. Er konnte es sich wirklich nicht erklären, wieso dies plötzlich passierte, doch Scham empfand er dabei keineswegs. 

Vorsichtig ging die barfüßige Schönheit durch die Reihen der Männer und strich dem einen oder anderen liebevoll über die Wange. Ihr sanfter Gesang schwang immer noch in den Ohren der Anwesenden und sie schienen wie paralysiert, unfähig etwas zu tun oder zu sagen. 

Wie von Geisterhand fielen die Männer, die von ihrer zarten Hand berührt wurden, zusammen und ein Seufzen verließ ihre Lippen, als sie den blutüberzogenen Boden berührten. Dem Mann wurde ein wenig unwohl, doch als er sah, dass es sich dabei um schwer verletzte Männer handelte, atmete er seinerseits erleichtert auf. 

Immer mehr seiner Kameraden und Feinde fielen nach der sanften Berührung zu ihren Füssen und so sammelte sich eine Schar toter Soldaten um sie herum an. Sie schien sich daran überhaupt nicht zu stören und ging unbeirrt weiter durch die Reihen. Ihre Tränen flossen noch immer, doch irgendetwas hatte sich in ihrem Gesicht verändert. 

Mit jedem Fall wuchs ein eigenartiges Gefühl in seiner Brust und er hatte plötzlich das große Bedürfnis auf die Frau zuzugehen und sie für sich ganz alleine zu beanspruchen. Die Veränderung in ihrem Gesicht ging nur langsam vonstatten, deshalb fiel es ihm erst auf, als der Mondschein ihre feinen Züge vollends erhellte. 

Ihre Augen waren etwas weiter aufgerissen und ein leichtes Lächeln hatte sich auf ihre Lippen geschlichen. Ihr Kleid war nur noch ansatzweise weiß, da sie sich auch schon das ein ums andere Mal auf die Knie begeben und den einen oder anderen Liegenden erlöst hatte. Sogar etwas Blut hatte ihr Haar rötlich verfärbt oder sich hie und da über ihre blasse Haut ergossen. 

Die weiße Frau wurde immer mehr zu einer roten Schönheit und der Soldat konnte das besitzergreifende Gefühl irgendwann nicht mehr zügeln. Vorsichtig setzte er einen Schritt vor den anderen und ging auf die Frau zu. Doch er war nicht alleine. Nach und nach lösten sich die leicht verletzten oder noch unverletzten Männer aus ihrer Starre und bewegten sich wie ferngesteuert in ihre Richtung. 

Leicht wütend, nicht der Einzige zu sein, der sich zu ihr hingezogen fühlte, griff er den ersten Mann an, der ihm zu nahe kam. Sein Blick huschte zu der Frau und er merkte eine erneute Veränderung in ihrem Aussehen. 

Die Tränen waren aus ihrem Gesicht verschwunden, ihre Augen blickten starr in seine Richtung und waren von leichtem Wahnsinn befallen. Ihr wunderschöner Mund war nun zu einer Fratze verzogen und das Lied, das sie vorhin noch vorgetragen hatte, war gänzlich aus der Atmosphäre verschwunden. 

Langsam aber sicher kroch ein angsteinflößender Laut aus ihrer Kehle und sie beugte sich zu dem neuesten Opfer herunter und legte ihre Hand auf seine klaffende Wunde. Das frische, rote Blut, das an ihrer Hand klebte, führte sie zu ihren Lippen und leckte es genüsslich ab. Ein Lachen schlich aus ihrer Kehle und übertönte die neuen Kampfgeräusche, die ausgebrochen waren. 

Von einem Moment auf den anderen fühlte der Mann, der nur zu dieser wunderschönen Frau hingehen wollte, ungebändigte Wut in sich aufkeimen und drosch auf einen seiner Kameraden ein. Das Leben wich langsam aus dessen Körper und er suchte sich ein neues Opfer aus, das es gewagt hatte, in die Richtung der Elfe zu laufen. 

Wutentbrannt hieb er auf den nächsten Mann ein und ein vom Wahnsinn heimgesuchter Laut drang über das Kampffeld: „Ja, tötet für mich! Für mich alleine!“ Das Lachen war zu einem ohrenbetäubenden Lärm angeschwollen und die Fratze, die ihn anblickte, suhlte sich in dem Kampf, der um sie stattfand. 

Keuchend fiel der Mann zu Seite, weil er von einem anderen angegriffen worden war und ihm durch das Lachen übel wurde. Blut sickerte aus seiner Nase, obwohl er am Bauch getroffen wurde und der plötzlich auftretende Druck in seinem Kopf wuchs von Sekunde zu Sekunde. In das Lachen drang ein tiefes Grollen und der Soldat hatte das Gefühl, als würde sich dieses Geräusch tief in ihn hineinfressen und ihn von innen zerstören. 

Er fiel auf die Knie und versuchte sich im blutgetränkten Gras festzuklammern, doch es half nicht. Unaufhörlich floss das Blut aus seiner Nase und ein Flimmern setzte sich vor seine Augen. Mit aller Kraft versuchte er dem Drang loslassen zu wollen nicht nachzugeben und er merkte, dass die wahnsinnige Frau nun vollkommen auf ihn aufmerksam wurde. 

Das Kampfgeschrei war immer leiser geworden und nur noch gurgelnde Geräusche drangen vereinzelt über das Kampffeld, gefolgt von tiefster Stille. Keuchend versuchte er der Ohnmacht nicht nachzugeben und fokussierte, so gut es nur ging, die Frau, die langsam auf ihn zuging. 

Ihr weißes Antlitz war einem roten gewichen und der übelkeitserregende Geruch hing an ihr, wie der Tod an so vielen seiner Kameraden. Einige Blutstropfen lösten sich von ihrer Haut und vermischten sich mit dem auf den Boden, als sie weiterhin gemächlichen Schrittes auf ihn zukam. 

Etwas hatte sich wieder in ihrem Blick verändert, als sie auf ihn herab sah. 

Andere hätten sich ihrem Schicksal ergeben und die Schwelle des Todes überschritten. Doch er wollte noch nicht sterben, deshalb klammerte er sich wie ein Ertrinkender an den letzten Grashalm, der sich unter seinen Finger befand. 

Gurgelnd griff er nach dem blutgetränkten Kleid der Frau und sah ihren leicht erstaunten Blick. Der riesige Mond, der sie von hinten anleuchtete, offenbarte ihr eigentliches Aussehen und während er seinen letzten Atemzug tat, streckte sie ihre Hand aus. Doch seine Augen fielen in dem Moment flatternd zu und so bemerkte er seinen Fall in die Blutlache nicht mehr, die sich unter ihm ausgebreitet hatte. 

Man erzählt sich, dass immer dann, wenn der Mond groß über einem Schlachtfeld scheint, eine wunderschöne, in weißgekleidete Frau auftauchen und die verletzte Männerschar um sich herum erlösen würde. 

Da es sich bei ihr aber mitnichten um einen Engel handelt, sondern um den Tod selbst, haben viele ihr den Namen ‚Todesengel‘ gegeben. In der Sage wird sogar gemunkelt, dass der letzte lebende Mann auf dem Schlachtfeld von ihr mitgenommen wurde und an ihrer Seite verweilen durfte. 

Aber es ist mitnichten sicher, ob diese Gerüchte stimmen, denn nicht vieles ist von dieser Frau bekannt, nur, dass das Lied, das sie singt, folgende Zeilen beinhaltet:

And when the lights blessed her skin
All the hounds begin to yell
In every single fold and every double chin
Red air filled with red smell




Envoyé: 09:22 Fri, 26 February 2016 par: Kutzner Tessy