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Wantz Lisa

Morgen kommt Papa wieder

 

"O?“ der Buchstabe erklingt wie eine ängstliche Bitte in dem dunklen Zimmer.
„Ja?“ Leas Stimme macht mir Angst, sie klingt nicht oft so verstört.
Ich höre ein Rascheln über mir, dann ein leises Tapsen; mein Bett wackelt und der Boden knarrt als sie ihn mit ihren nackten Füßen berührt.
„Komm her…“ Ich hebe die Bettdecke an und klopfe auf die Matratze. Sofort kriecht sie zu mir und kuschelt sich an mich. Dann legt sie sich auf den Bauch und versinkt in ihren Gedanken. Ich nehme ihre Hand und streichele mit dem Daumen über sie. Ich weiß was sie denkt, wir denken immer das Gleiche. Eine Weile vergeht und sie starrt weiterhin die Bettdecke an, auf die ich verschiedene Sachen gekritzelt habe.
„Morgen kommt Papa wieder.“ Ihre Stimme kratzt in ihrem Hals und eine Träne schimmert in ihren Augen. Dann löst die sich und kullert wie eine Perle ihre Wange hinunter.
„Ich weiß.“
„Er macht mir Angst.“
„Ich weiß.“ Der Frust packt mich, ich weiß nicht wie ich ihr helfen kann.
„Hast du auch Angst?“ Flehend schaut sie mich an.
„Natürlich hab ich Angst“ Wieder herrscht Stille, dann leg ich mich zur Seite und suche nach meinem rosa Plüsch-Teddybären.
„Er wird dich beschützen.“ Ich drücke ihr das kuschelige Wesen in die Hände und sie umschließt es mit ihren kleinen Armen.
„Danke.“ Dann schließt sie die Augen und schläft nach einigen Minuten ein.
Es kracht, darauf folgt ein leises Wimmern und meine kleine Schwester lässt ihren neuen rosa Freund los. Dieser kullert die Treppe hinunter. Sie fängt an mit den Händen auf die Treppe zu trommeln. Ich umfasse ihre kleinen Fäuste und  blicke ihr tief in die Augen. Sie sind wie ein unendlich großes Meer aus Verzweiflung. Glasklar aber doch undurchschaubar.
Ich zucke zusammen, als das nächste Krachen ertönt. Unsere Mutter fängt an wie am Spieß zu schreien und ich verkrampfe mich.
„Schweig!“ fährt er sie an.
Ich nehme  Lea in den Arm. Nur zu gerne würde ich von hier verschwinden, wie ein Feigling in unser Zimmer laufen und versuchen mich unter meinem Kissen zu verkriechen, doch er hatte uns befohlen hier sitzen zu bleiben.
Wieder schallt ein schmerzverzerrter Schrei durch das Haus. Dann kracht die Tür auf und unsere Mutter kommt herausgestürmt. Ihre linke Wange ist ganz rot und rund um das Auge angeschwollen, die Lippe ist aufgeplatzt.
„Geht hoch“, sagt sie mit heiserer Stimme.
Wir stehen auf und bewegen uns hinauf. In der Mitte der Treppe angelangt, ertönt seine Stimme wie ein Donnerschlag.
„Olivia, Lea, ihr bleibt hier!“
Ich erstarre dann nehme ich ihre Hand und langsam treten wir Stufe für Stufe den Rückmarsch an. Den Rückmarsch in die Hölle.




Envoyé: 09:29 Tue, 19 January 2016 par: Wantz Lisa