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Di Santolo Luca

Sich Versöhnen

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Die beiden nahmen nicht unweit von mir Platz auf der Terrasse. Er seufzte erleichtert auf, nahm seine Kappe ab und streckte sich in alle Richtungen, sie schaute sich zuerst um, nahm die ganze Terrasse mit allen Gästen, Angestellten und Blumentöpfen in sich auf, krümmte dann geistesabwesend die Mundwinkel zu beinahe einem Lächeln und setzte sich ihm gegenüber.  Er suchte hündisch nach ihrem Augenkontakt, jedoch schien sie mehr an der Tischdecke interessiert zu sein und zupfte mit der linken Hand an den Fransen rum, während die rechte vergessen auf dem Tisch lag.

Ein Kellner sprang herbei und fragte die beiden was sie trinken wollten. Ich verstand nicht alles von dem kurzen Austausch, jedoch ließ sein ausholendes Gestikulieren darauf schließen, dass sie nicht allzu gut mit der ländlichen Sprache vertraut waren und dass zumindest er einen großen Durst hatte. Sie hingegen gab dem Kellner keine sofortige Antwort, schien ihn sogar nicht wirklich zu bemerken und schaute stattdessen desinteressiert auf die Getränkekarte, dann wieder auf in die Ferne, zuckte dann die Achseln und hob ihre rechte Hand in seine Richtung, um dem Kellner mitzuteilen, dass sie wohl das Gleiche wie er nehmen würde.

Nachdem der Kellner sich entfernte schaute er sie leicht besorgt und fragend an und griff nach ihrer Hand. Sie entzog sich seinem Griff und schüttelte langsam und schwermütig den Kopf. Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Anstelle von Besorgnis trat nun Frustration in den Vordergrund. Er fing an fordernd und eindringlich auf sie einzureden. Er schien sich rechtfertigen zu wollen und gleichzeitig eine Erklärung zu verlangen. Diese wollte oder konnte sie ihm jedoch nicht bieten.

Während seiner Tirade nahm ihr Blick eine gewisse penetrante Leere an. Ein zielloses Starren. Sie schaute durch ihn hindurch als wäre er ein transparentes Hologramm, dessen Zyklus sie bereits auswendig kannte und welches ihr nichts neues zu vermitteln hatte. Nein, es war weniger ein Hindurchschauen und mehr ein Suchen. Sie suchte durch ihn hindurch aber auch in sich selbst hinein. Nach etwas anderem. Ob nach etwas Neuem oder etwas bereits Dagewesenem, jedoch Verkanntem konnte ich mir nicht erklären. Ich glaubte in diesem Moment zu erkennen, dass seit geraumer Zeit keine Klarheit zwischen den beiden herrschte. Er schien dies durch übermäßiges sich-mitteilen-wollen und zur Rede stellen anzufechten, während sie die Gewissheit in sich selbst suchte. Ich wollte noch nie so sehr in den Kopf einer Fremden hineinschauen. Ich glaubte in ihren Augen die Bedenken und Überzeugungen von gefühlten Ewigkeiten sich widerspiegeln sehen in einem ungestümen Wirrwarr, einer anhaltenden Kollision. Den Sog dieses Strudels wollte ich mit ihr teilen.

Der Kellner kehrte zu ihrem Tisch zurück und stellte zwei große Bier vor sie hin. Der Mann bedankte sich lächelnd, sie war anderswo. Ich schaute noch mal zu ihrer linken Hand hinunter. Ihre rechte Hand hatte sich jetzt zur anderen dazu gesellt und sie hatte bereits mehrere lange Fäden aus der Tischdecke gezupft und in geraden, parallelen Linien auf ihrem Bein ausgebreitet. Das Zupfen, und einzelne Fransen aussortieren, hatte einen mechanischen Rhythmus angenommen, so als ob sie mit dieser Regelmäßigkeit das Chaos in ihrem Inneren ordnen wollte. Dann: ein Verkrampfen der Hände. Ich schaue hoch und erkenne einen erschrockenen Blick. Ein kleiner rothaariger Junge stieß bei der Taubenjagd gegen ihr Bein. Sie erblich.

Währenddessen beschäftigte er sich mit seinem Bier. Er trank in großen Schlucken und ließ seinen Blick herumwandern, bis er auf mir hängen blieb. Er bemerkte, dass ich ihren Tisch im Visier hatte und kurz kreuzten sich unsere Blicke. Ich wendete mich sofort beschämt ab, da ich mich ertappt fühlte. Ich hörte, dass er sich von seinem Stuhl erhob und an meinen Tisch herantrat.

„Do you perhaps have a cigarette, please?“, fragte er in gebrochenem Englisch mit starkem französischem Akzent.

„Yeah, sure.“ Ich hielt ihm meine Packung hin. Er nahm sich eine und fragte dann: „Can I sit here a bit and smoke? I think I need a bit of distance for a minute.“

„Oh, of course. What’s the issue?“ Ich versuchte meine Neugierde zu bändigen. Widerstehen konnte ich trotzdem nicht.

„Well… You know, we just don’t talk as we used to. Or… I mean, I try but no result. She’s like a nut I want to crack to see what’s inside but I’m starting to feel like I’m too hard on her. I don’t want to hurt what’s inside.“ Er seufzte lange, nahm einen Zug von der Zigarette und lachte dann selbstmitleidig auf. „Ah! Listen to me, trying to talk pretty. As if it ever works.“

Ich wusste nicht genau was ich darauf entgegnen sollte. Ich wollte jedoch mehr wissen. Etwas wirklich Erhellendes wurde bislang nicht gesagt. Also grub ich weiter.

„Have you been together for a long time?“

„Yes. Five years tomorrow, actually. This was supposed to be the big romantic anniversary trip. Booked it months ago and all that. Five is a special number, I guess.“ Wieder ein langer Zug an der Zigarette begleitet von einem Seufzen. „But… then there was an… accident. We had a… disagreement. She had the operation.“ Er lachte kurz und bitter auf. „And now I thought this could fix it. Well, joke’s on me.“ Er nahm noch einen letzten Zug von der Zigarette, drückte sie im Aschenbecher aus und verabschiedete sich dann: „Well, anyway, thanks for the cigarette and the company.“ Er stand auf und kehrte zu seinem Tisch zurück.

„It was a pleasure,“ konnte ich bloß entgegnen und kam mir dabei leicht bescheuert vor. Von einem Vergnügen zu reden schien mir fehl am Platz. Ich schaute wieder zu ihrem Tisch. Er saß vor seinem leeren Glas, schaute sie wieder unglücklich an. Sie war weiterhin am Tischdeckenzerrupfen. Das Bier vor ihr wurde nie angerührt. Auf einmal kam ich mir wie ein Eindringling vor. Als hätte ich an etwas teilgenommen das mich nichts angeht. Ich wollte und sollte weg von hier. Ich legte mein Geld auf den Tisch und floh.




Envoyé: 10:22 Sat, 20 January 2024 par: Di Santolo Luca age: 27